Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
Helios:

Zitat:das passiert in der heutigen Zeit ganz wesentlich auch durch jene, die vermeintlich keine Kriegserfahrungen haben, weil sie an der Front nicht Auge in Auge gegen den Feind kämpfen.

Zur Klarstellung: Kriegserfahrung bedeutet nicht Frontkämpfer. Genau dieses Denken muss man überwinden! Zu einer Streitkraft gehören all ihre Teile und all ihre Teile sind gleich wert und müssen sich gleich anstrengen und etwaig "hinter der Front" sogar noch mehr anstrengen. Kriegserfahrung bedeutet nicht Frontkämpfer im Graben, sondern dass man als Teil einer Gesamtstreitkraft seine Erfahrungen in einem großen konventionellen Krieg gemacht hat.

Und ich halte es für ein Strohmann Argument von muck (und bedingt von dir hier auch), zu erklären, Bohdan Krotewytsch habe mit Kriegserfahrung nur unmittelbare Gefechtserfahrung "an der Front" gemeint, denn das hat er nicht gesagt. Ganz im Gegenteil betonte er - so wie ich auch immer - dass zu einer Streitkraft alle Teile gehören. Das hat er in seinem Text explizit hervor gehoben.

Für mich sind beispielsweise Nachschubtruppen heute genau so Kampftruppe und ich betone immer, wie sehr es relevant ist, die rückwärtigen Dienste von Moral und Elan her zu heben und auch sie zum Kampf und zur Eigensicherung zu befähigen. Und genau diese Position vertritt Bohdan Krotewytsch ebenso.

Zitat:Und doch sind die Rückmeldungen von den Nutzern der deutschen Waffen, die an die Ukraine geliefert wurden (egal ob es sich um ältere Systeme oder Neuentwicklungen und -produktionen handelte) hinsichtlich der Kriegstauglichkeit und dem praktischen Nutzen tendenziell eher positiv.

Die Rückmeldungen sind sehr uneinheitlich. Man kann daher kaum eine Aussage quer über alle Systeme in Form eines Gesamteindrucks machen. Ich kann dir deshalb dahingehend zustimmen, dass einzelne deutsche Systeme sogar sehr positiv auffallen. Das bedeutet aber nicht, dass unsere Rüstungsindustrie hier die "richtigen" Systeme herstellt, denn insbesondere muss ja auch der Preis berücksichtig werden, die Verfügbarkeit, die Quantität und vieles mehr.

[quoteDu behauptest, die Zielsetzung der deutschen Rüstungsindustrie zu kennen, aber woher genau? [/quote]

Die Zielsetzung jeder Industrie ist die Gewinnmaximierung, weil es sich um wirtschaftliche Unternehmen handelt. Wäre dem nicht so, würden diese Unternehmen nicht weiter existieren. Die Zwänge des Marktes und der sonstigen wirtschaftlichen Umstände zwingen die Unternehmen dazu. Darüber hinaus aber wird die Rüstungsindustrie durch Lobbyarbeit und entsprechenden Protektionismus in dieser Bundesrepublik außergewöhnlich gefördert. Die Verbandelung von Politik und Wirtschaft zuungunsten der Kriegsbereitschaft sind hinlänglich bekannt und über Jahre immer wieder thematisiert worden. Hier ist aber nicht der richtige Strang für diese Diskussion, sondern hier geht es ja um die Militärischen Erfahrungen im Ukrainekrieg.

Zitat:Historisch betrachtet (zumindest auf die Moderne bezogen, darüber hinaus fehlen mir die Kenntnisse) hat vor allem die Seite deutliche Vorteile, die das Chaos, den Zufall und das Durcheinander minimieren kann.

Was keinerlei Widerspruch zu meiner Aussage ist. Denn die Minimierung von Chaos und Zufall ist eine Methode damit umzugehen und entspricht exakt meiner These, dass derjenige der besser damit umgehen kann militärische Vorteile generiert. Im übrigen kann ich auch an dieser Stelle nur nochmals betonen, dass von Personen die nicht im Krieg waren nicht richtig eingeschätzt werden kann, welches Ausmaß Chaos, Durcheinander und Zufall im Krieg spielen. Das wird immer heillos unterschätzt und man hat die Illusion der Kontrolle. Wo statt Kontrolle vor allem beidseitiges Versagen der wesentliche beherrschende Faktor ist. Und insbesondere das ist eine der wesentlichsten militärischen Lehren die sich auch jetzt im Ukrainekrieg wieder zeigt.

Da dies aber so sehr dem Streben der Bundesrepublik nach Ordnung, Vorschriften, Vorhersehbarkeit, Vollkaskomentalität und Struktur zuwieder läuft, gibt man sich hierzulande der Illusion der geplanten und planbaren Kontrolle des Chaos hin. Die im Krieg nicht funktionieren kann und nicht funktionieren wird.

Zitat:ohne moderne Kommunikationsmittel und -netzwerke, ohne Aufklärungsergebnisse aus der Ferne, ohne Unterstützung bei logistischen Aufgaben würde die Lage der Ukraine heute deutlich schlechter aussehen. Umgekehrt könnte die Situation besser sein, wenn hier ein höheres Niveau gerade auch abseits der oberen Ebenen durch die Truppe vor Ort erzielt werden könnte.

Was im übrigen exakt die Aussage von Bohdan Krotewytsch ist, dass eine Armee aus vielen zusammen wirkenden Untereinheiten besteht und diese allesamt gleich wichtig sind. Das hat er auch schon in früheren Interviews und in anderem Kontext wieder und wieder betont.

Im übrigen unterscheide ich nicht zwischen "Kampftruppe" und Logistik und Kommunikation usw. Das sind alles Soldaten, alle gleichermaßen. Die Frage ist nicht, welchem Teil der Armee sie angehören, sondern ob sie reale Kriegserfahrung haben, unter extremsten Druck und unter extremsten Bedingungen bei größtmöglicher Geschwindigkeit das tatsächliche Kriegshandwerk ausgeübt haben. Und ich schreibe bewusst Kriegshandwerk.

Zitat:Auch das ist in der Einseitigkeit und Pauschalität falsch. Menschen und Ausrüstung sind im Krieg miteinander in einer Art und Weise verflochten, die sich nicht (mehr) auseinander dividieren lässt. Es braucht beides, in ausreichender Zahl und Qualität, und vor allem aufeinander abgestimmt.

Der menschliche Wille ist das maßgebliche. Die menschlichen Fähigkeiten sind wesentlicher als die Ausrüstung. Natürlich spielt auch diese eine Rolle, aber sie ist nicht gleich gewichtet. Ich stimme dir zu, dass beides in der richtigen Abstimmung zueinander vorhanden sein muss, und dass die Assymetrie bei der Ausrüstung natürlich irgendwann alles überwindet, aber das sind keine gleich gewichteten Faktoren. Der menschliche Faktor ist der wesentlichere.

Zitat: Ob es die vermeintliche Fixierung auf das Material tatsächlich gibt, ich habe da meine Zweifel und denke eher, es ist wesentlich schwieriger einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz beim Personal zu finden, der den Notwendigkeiten gerecht wird.

Die Fixierung auf das Material ist eine bloße These von mir. Jedoch weist der zweite von dir genannte Punkt doch genau das Problem hin, welches ich benannt habe: es ist wesentlich schwieriger einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz beim Personal, also bei den Menschen welche den Krieg führen sollen, zu finden. Exakt das meinte ich und genau darin liegt das Problem. Die Notwendigkeiten würden eigentlich andere Menschen erfordern (von Typus, Kultur, Psyche usw.), die aber in dieser Bundesrepublik und der diese besiedelnden Gesellschaft nicht mehr in ausreichender Quantität vorhanden sind.
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