Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
muck: zu deinen Ausführungen zum Text von Bohdan Krotewytsch:

Zitat:Aus Sicht der militärischen Lage war die ukrainische Prioritätensetzung verständlich, aber es ist nicht gesagt, dass dieser Ansatz richtig war. Beispiel: Gerade bei den Kräften der Territorialverteidigung ist es etwa offenbar immer noch Glücksache, wer welche Fertigkeiten mitbringt, und wenn derjenige gefallen ist, der ein Starlink aufbauen oder eine PALR bedienen kann, hat die Gruppe Pech gehabt. In westlichen Armeen versucht man das halt zu vermeiden.

Bei einer Armee im Friedensbetrieb macht es Sinn, so viele Soldaten so gut wie möglich und so breit wie möglich auszubilden. Wobei selbst bedeutende westliche Armeen wie die US Streitkräfte lauter Spezialistentum haben und dort auch nicht jeder für alles qualifiziert wird.

Bei einer Armee die in einem schon länger andauernden Abnutzungskrieg steht, ist dieses Ideal jedoch nicht aufrechterhaltbar. Es ist kein Fehler, dass die Fähigkeiten so heterogen verstreut sind, sondern dass ergibt sich zwingend aus der Sache. Es ist schlicht und einfach unmöglich, in so einem Abnutzungskrieg dieser Intensität das von dir angedachte durchschnittliche Niveau an Fähigkeiten aufrecht zu erhalten.

Und es ginge uns nicht anders.

Zitat:Gerne wird in westlichen Medien z.B. Robert "Magyar" Browdi zitiert, dass NATO-Armeen zu einem modernen Krieg untauglich wären. Und obwohl dieses Urteil in der Sache durchaus stimmen kann, verstehe mich nicht falsch, muss ich mich doch wundern und fragen: Woher will er das mit Sicherheit wissen?

Hier ging es aber nicht um Browdi. Aber dessen ungeachtet will ich diesen Punkt mal aufgreifen: es waren schon 2014 und den Jahren danach fort folgend immer wieder US Soldaten in der Ukraine, mit Kampferfahrung in Afghanistan und im Irak und staunten Bauklötze. Das Fazit dieser "Veteranen" war, dass ohne die westlichen Luftwaffen die westlichen Bodenstreitkräfte in dem dortigen Szenario einfach untergehen würden. Und seitdem hat sich alles praktisch nur ständig verschlechtert und verschärft. Wir sind deshalb jetzt extrem abhängig von einer raschen Durchsetzung der Luftherrschaft. Das ist aber nur ein Aspekt, der militärisch-strategische. Worauf Browdi aber meist abzielt ist gar nicht diese Ebene, sondern die politisch-strategische Ebene. Und da muss man konsternieren, dass die Politiker wie die Gesellschaft für einen modernen Krieg tatsächlich untauglich sind.

Zitat:Die große Stärke der Ukrainer—unkonventionelle Denkansätze, Improvisation, Psychologie—kann auch zur Schwäche werden, wenn sie zu viel dem Zufall überlässt.

Echter Krieg ist in ganz großem Ausmaß Chaos, Zufall, Durcheinander. Die Seite, welche in diesem Chaos und mit diesem Chaos besser zurecht kommt, hat dadurch immense Vorteile. Man überlässt nicht zu viel dem Zufall, sondern der Krieg selbst wird durch ein zuviel an Zufall dominiert. Ganz von selbst, dass ist systeminhärent. Deshalb ist es so elementar, dass die Ukainer diese Ansätze als ihre Stärke gegen die Russen explorieren.

Zitat:Beispielsweise sind viele ukrainische Verbandsführer geradezu durch Akklamation befördert worden. Ein unbeliebter Bataillonskommandeur ABC fällt oder wird abberufen; die Truppe macht unmissverständlich klar, dass der höchst beliebte, bewunderte und tapfere Zugführer XYZ den Job kriegen sollte—also wird er befördert. Aber auch der fähigste Zugführer kann nicht automatisch ohne Ausbildung ein Bataillon führen.

Die Beförderung durch Akklamation ist aktuell eine der allergrößten Stärken der Ukrainer. Im übrigen ist nicht gesagt, dass ein Ausgebildeter Bataillonsführer im echten Einsatz tatsächlich ein Bataillon führen kann. Der Wert von Ausbildung hat auch seine Grenzen. Und umgekehrt ist Praxiserfahrung und ein neuer komplett anderer Ansatz, frei von tradierten und eingedrillten Denkweisen oft sehr vorteilhaft. Ausbildung und Routine können ganz genau so ein Problem darstellen, bis dahin, dass sie gefährlich werden ! Darüber hinaus möchte ich zu bedenken geben, dass im Krieg Psychologie / Moral / ideelle Werte einen immensen Faktor darstellen. Der moralische Vorteil kann in vielen Fällen immens viel größer sein als etwaige Ausbildungs-Mängel.

Zitat:Die ukrainische Armee funktioniert nicht wie ihre westlichen Pendants. Persönliche Bekanntschaften wiegen weit mehr als Hierarchien und entscheiden bspw. darüber, wer gefährliche Aufträge bekommt oder als erstes versorgt wird. Verhaltensweisen werden toleriert, die auf menschlicher Ebene verständlich, militärisch aber gefährlich sind; z.B. kommt es häufig vor, dass Soldaten einfach beschließen, sich einer anderen Einheit anzuschließen.

Gleiches Gegenargument: dass ist der Moral höchst förderlich, und stärkt die Disziplin, den Zusammenhalt, die Kampfbereitschaft und die Bereitschaft Opfer zu bringen. Ohne solche Eigenheiten wären die Ukrainer durch die Russen inzwischen zermalmt worden.

Zitat:Es gibt kaum Vereinheitlichung. ......Das führt dazu, dass ein kohärentes Vorgehen kaum noch möglich ist, weil auf dem Papier gleichartige Verbände völlig unterschiedlich ausgerüstet und ausgebildet sind.

Das hat seinen Grund aber erneut vor allem auch in der Länge des Krieges, den Verlusten und schließlich auch in der extrem heterogenen Ausrüstung welche die Ukraine von überall her erhalten hat. Keine westliche Armee, insbesondere die Bundeswehr, käme aktuell mit einem solchen Durcheinander von Systemen überhaupt zurecht.

Die Verbände sind ja deshalb so verschieden ausgerüstet, weil die gelieferte Ausrüstung derart breit gestreut und unterschiedlich ist.

Eine militärische Lehre daraus ist im Umkehrschluss, dass man die Zahl der verschiedenen Systeme, Kaliber, Bauteile, Motoren etc etc im Friedensbetrieb so klein wie möglich halten sollte, und alles so weitgehend wie möglich vereinheitlichen sollte, auch was Truppengattungen, Strukturen von Einheiten usw usw angeht.

Zitat:Es tut sich also schon etwas. Nur nicht schnell genug.

Es tut sich vor allem materiell etwas. Nicht schnell genug, aber vor allem materiell. Der wesentlichste Aspekt aber ist, dass Kriege von Menschen geführt werden, und dass stellt das Hauptproblem in dieser Bundeswehr und dieser Gesellschaft dar. Ausrüstung gewinnt keine Kriege. s sei denn die Asymetrie wäre derart extrem, dass der Sieg in jedem Fall errungen wird.

Zitat:Teils wegen des Vorschriftendschungels, teils, weil die Tatsache, dass nun mehr Geld zum Üben da ist, zu der absurden Situation geführt hat, dass die Wartezeiten für TrpÜbPl nicht kürzer, sondern länger geworden sind (Überbelegung).

Das Üben auf Truppenübungsplätze zu konzentrieren ist ohnehin ein Kardinalfehler der Bundeswehr. Übungen müssen stattdessen breit in der Fläche stattfinden, in realer Landschaft und nicht in der Übungsplatzkünstlichkeit. Das primäre Hindernis hierfür ist der Vorschriftenwildwuchs. Ein kleines Manöver braucht schon schier endlos bis es endlich ordnungsgemäß geplant und vorschriftsgemäß veranstaltet werden kann. Vorschriften aber gewinnen keine Kriege.

Zitat:Das ist übrigens der Punkt, der mir am meisten zu denken gibt. Ich gehe mittlerweile davon aus, dass wir uns nicht darauf vorbereiten sollten, in einem künftigen Krieg sofort mit Bestnote zu bestehen, sondern darauf, uns möglichst schnell an neue Herausforderungen anzupassen. Und diese Fähigkeit sehe ich einfach in Deutschland nicht. Das ist nicht mal ein Problem der Bundeswehr, sondern ein Problem des ganzen Staates.

Dem kann ich absolut zustimmen. Die mangelnde Anpassungsfähigkeit und mangelnde Anpassungsgeschwindigkeit sind eines der wesentlichsten Probleme. Dazu tritt noch die sozialkulturelle Kriegsunfähigkeit, weil die Sozialkultur dieser Gesellschaft für den Krieg wenig tauglich ist.
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