Gestern, 17:24
Zitat: So war das Szenario aber nicht. Zunächst mal das kein ausgeblutetes Bataillon, sondern gerade mal ein paar Kompanie-Äquivalente, deren primäres Problem ein Nachschubmangel war, was insbesondere die dort vor Ort befindliche Drohnenkompanie behindert hat. Die Russen durchdrangen die Verteidigung nicht, sie diffundierten durch diese hindurch, aus folgenden Gründen: 1. unzureichende Anzahl ukrainischer Drohnen 2. Munitionsmangel bei ukrainischen Mörsern und Haubitzen in der ganzen Region 3. allgemein ukrainische Nachschubprobleme 4. Kakerlaken-Taktik, also das infiltrieren in Trupps bis hinunter zur Soloinfiltration 5. Verkleidung in Zivil (in einigen Fällen trugen die Russen welche hier infiltrierten keine Uniform) 6. reduzierte Gefahrenwahrnehmung auf ukrainischer Seite weil man die Zahl der eingedrungenen Russen unterschätzte, man ging lediglich von einigen wenigen Gruppen aus, dabei hatte sich schon mehr angesammelt 7. Irrelevanz dieses Geschehens für die Lage in der Region, denn in Wahrheit war dieser EINBRUCH keineswegs so relevant wie das jetzt hier dargestellt wird.Teile des 1st Corps ‚Azov‘ sind dort neben Elementen der 38., 79., 82. und 93. Brigade im Einsatz. Adhoc zusammengewürfelte Kampfgruppen, die die unterlegene russische Infanterie jetzt zurückdrückt und aufreibt. Das klingt nach riesigen Verbänden die dort agieren, tatsächlich sind jeweils sehr wenige hundert Mann abgestellt worden, jeweils ein ausgeblutetes Bataillon.
Des weiteren waren das keine zusammen gewürfelten Kampfgruppen welche hier reagierten, sondern Einheiten von Azov, einem ausgesuchten Eliteverband.
Die russische Taktik beim initialen Angriff ist nachrangig. Entscheidend ist, dass (wie du es hier zum Teil auch zeichnest) die ukrainische Front wenigstens in diesem Sektor an Mensch und Material völlig unzureichend ausgestattet ist. Die Kräfte sind erschöpft, die Soldaten werden viel zu lange nicht rotiert oder auch nur aufgefrischt, die zu verteidigenden Räume zu weitläufig, die russische Feuerüberlegenheit zwingt zur Dislozierung und Passivität – und urplötzlich passieren wilde Dinge und die Feuerwehr verlegt weil die lokalen Verteidiger mit ein paar *Zivilisten auf Motorrädern* überfordert sind und alles wackelt.
Um mich zu wiederholen, Meine einfache Schlussfolgerung daraus: Würden man in solchen und ähnlichen Lagen mit stärkeren mechanisierten Verbänden nachsetzen wäre es schnell höchst brenzlig für die Ukrainer. Man würde Hals über Kopf viele Kilometer zurückweichen müssen und die Russen würden für einen Bruchteil an Zeit und Materialeinsatz lang umkämpftes Gelände nehmen und den Ukrainern im Verhältnis deutlich höhere Verluste zufügen können.
Zitat: Und genau das müsste das Vorgehen sein (auf beiden Seiten) - dass die feindlichen Truppen das primäre Ziel sind und nicht das Gelände ! Exakt darum geht es mir eigentlich ! Es spielt keine Rolle wieviele Quadratmeter man einnimmt, sondern es zählt nur das Abtauschverhältnis.In der rein militärischen Logik hast du Recht und ich stimme da durchaus zu. Das ist aber halt nur ein Teil der Wahrheit wenn man parallel darüber verhandelt, welche Gebiete die Ukraine zusätzlich wird abgeben müssen. Einigt man sich am Ende im wesentlichen auf den Frontverlauf (was angesichts der Lage für die Ukrainer noch positiv wäre), werden Quadratmeter plötzlich sehr relevant. Für beide Seiten du sei es auch nur als Ausgangspunkt für die nächste Runde.
Zudem wie ich schon vorher und jetzt auch lime skizziert hat, die Ukrainer haben ein Moralproblem das sich direkt aus der militärischen Perspektivlosigkeit speißt. 69% der Ukrainer sind mittlerweile für Verhandlungen und Kriegsende laut ner CNN Umfrage. Das kommt auch daher weil niemand eine Perspektive auf dem Schlachtfeld aufzeigen kann, von Erfolgen ganz zu schweigen.
Zitat: Du brauchst bei mehreren Regimentern aber auch eine entsprechende Breite des Durchbruch - und entsprechende Bewegungsmöglichkeiten (geeignetes Gelände). Das Problem bei Karten aus der Ukraine ist hier oft der Maßstab. Daraus geht nicht hervor, wie Klein-Klein das alles in Wahrheit ist.Man könnte allgemein mal die Frage stellen wie viel Raum zur Bewegung mechanisierter Verbände wirklich nötig ist und ob in manchen Lagen wie man sie in der Ukraine vorfindet eine Konzentration sinnvoller wäre. Ich habe da eher der Eindruck, dass der maximal bespielbare Raum gerne zum zwingend benötigte Raum umgedeutet wird ohne Verstehen zu wollen, dass Dislozierung gegen Drohnen keinen Schutz bietet.
Der hier jetzt zu sehende Einbruch war meiner Meinung nach vom Gelände, den möglichen Bewegungskorridoren und der Flächenausdehnung her unzureichend um über diesen hinweg mit mehreren Regimentern operieren zu können, auch nicht in der von dir beschriebenen Form.
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Und ich frage mich, warum du den Durchbruch für nötig erachtest um ukrainische Truppen vernichten zu können. Hätten die Russen entsprechende mechanisierte Regimenter, so könnte man auch die Ukrainer dort auch so vernichten, dazu bedürfte es nicht mal des Durchbruches.
Durchbruch, Einbruch – deshalb weil Schnelligkeit der entscheidende Faktor ist. Anrücken, isolieren und ausheben führt wieder nur dazu, dass die Ukrainer Reserven herankarren und den russischen Angriff mit Drohnen und Artillerie abweisen können. Dagegen eine bereits infiltrierte und damit überforderte Front mit einem mechanisierten Angriff schnell zu überwinden heißt beispielsweise, das Drohnenoperateure und Artilleristen keine ausreichende Zeit mehr haben den Angriff auszudünnen bevor sie rückverlegen müssen. Ein Drohnenoperateur der nur ein, zwei, drei Drohnen gegen durchbrechende und anrückende Panzerfahrzeuge aufbieten kann bevor er rückverlegen muss hat nur einen Bruchteils des Gefechtswerts eines Operateurs, der mit irgendwelchen Stellungen beschäftigte Panzerfahrzeuge nach und nach immer wieder erneut angreifen kann. Selbiges gilt für Artillerie.
Oder um den größeren Rahmen zu beschreiben: Schnelles, aggressives Vorgehen dort wo der Gegner bereits zu schwach und zu überfordert ist maximiert und bewahrt die Effektivität der eigenen Truppen. Die Russen erreichen angesichts den wahnwitzigen Einsatzes von Humankapital sehr wenig. Man nutzt die Ukrainer freilich ab, aber die eigenen Verluste und noch wichtiger die investierte Zeit stehen außer Verhältnis zu den erzielten Ergebnissen. Mit einer Anpassung ihres Vorgehens könnten sie die Ukrainer, die genauso wie die Russen in die jetzige Lage hineindegeneriert sind empfindlich treffen. Umgekehrt gilt es ganz genauso. Insofern – nein, lediglich Zermürben ist nicht die richtige Vorgehensweise wenn man mit veränderter Operationsführung viel günstigere Ergebnisse erzielen kann.
Ziel beider Seiten müsste es eigentlich sein auf ein Cambrai, Hamel, Amiens… hinzuarbeiten um aus dem jetzigen Unterbietungswettlauf auszubrechen. Es ist bestürzend wie man einerseits auf taktischer Ebene hoch innovativ mit Taktiken und Techniken experimentieren mag und gleichzeig auf operativer und strategischer Ebene Ideenverweigerung betrieben wird.
Zitat:Ich stimme dir ausdrücklich zu, möchte aber dennoch an dieser Stelle nochmals betonen, dass die Russen keine solchen mechanisierten Verbände haben ! An diesem Fakt kommst du nicht vorbei. Die Russen haben mehrfach bewiesen, dass sie nicht in der Lage sind, mechanisierte Großkampfverbände sinnvoll einzusetzen, und hier und jetzt haben sie keine solchen mehr in der Ukraine einsatzfähig.
Man müsste sie halt wieder neu formieren. Zeit genug hätte man gehabt und hätte sie noch immer. Man müsste aus vorangegangen Fehlern lernen und das operative Handeln anpassen. Auch die Russen sind dazu fähig, man will halt nicht. Für die Ukrainer gelten noch weniger Ausreden nachdem man noch länger mit mechanisierten Verbänden agiert hat. Dort war und ist man halt völlig Unwillens Strukturen zu Führung von Großverbänden zu etablieren und einzusetzen.
Zitat: Die westlichen mechanisierten Einheiten, insbesondere die US Amerikanischen und Britischen in Europa funktionierten nicht weil sie innerhalb eines Jahres aufgestellt wurden, wohlversorgt waren, eine grenzenlose Logistik und gigantische industrielle Produktionskapazitäten hinter sich hatten (alles in der Ukraine nicht gegeben), sondern primär durch die Luftherrschaft und wo diese nicht reichte durch massives Artilleriefeuer zusätzlich.Die Ukrainer sollten ja auch nicht auf einen anderen Kontinent übersetzen und sich 800 Kilometer ins Reich kämpfen. Operationstiefen von 50km wären ja schon ein Novum.
Luftherrschaft… die Ukrainer haben aktuell 30 bis 40 F-16. Würde man den Konflikt ernst nehmen hätten sie mittlerweile 400… man könnte aber auch mit drei Dutzend F-16 lokal eine ganze Menge erreichen wenn man sie zu kaum mehr als Drohnenjagd einsetzen würden und ansonsten verkleckert.
Das Problem zieht sich aber natürlich durch. Der Ukraine fehlt auch das Gerät für größere mechanisierte Verbände. Dass dieses Gerät weiterhin in den Staaten vor sich hinrostet ist Teil des Problems.
Zitat:Es klingt alles höchst einfach und logisch was du schreibst, und trotzdem ist eine solche mechanisierte Kriegsführung in einem echten Krieg extrem schwer. Es ist keineswegs so, dass die Ukrainer oder Russen dies nicht tun wollen würden, es also nur am Willen fehlen würde wie du es hier postulierst, sondern dass ist eine Frage des Könnens. Und dieses Können ist nicht so einfach beliebig herstellbar, auch wenn du das hier propagierst.Es kann für mich keine Frage des Könnens sein wenn in vorangegangenen Kriegen das Können hergestellt werden konnte. Die Ukrainer hätten einen sehr soliden Grundstock an Soldaten die zumindest auf der taktischen Ebene zwei, drei Jahre und mehr Kampferfahrung mitbringen. Es wäre sowieso anzuraten sie dringend zu rotieren, was spricht dagegen, was hätte dagegen gesprochen mit diesen Soldaten und neu ausgehobenen Rekruten nach Grundausbildung neue mechanisierte Verbände zu schaffen und sie binnen eines halben Jahres zu ertüchtigen?
Das effektive Ende der Gegenoffensive 23 ist mittlerweile fast 24 Monate her. Man stelle sich vor in welcher Lage man jetzt wäre wenn man aus den Fehlern gelernt und offensichtliche Mängel abgestellt hätte anstatt ein Jahr später mit unzureichenden Kräften und politstrategisch völlig verfrüht in Russland rumzuturnen.
Ansonsten, was höherstufige Operationsführung angeht sehen wir doch immer wieder, dass das eine Kunst ist die man nur sehr bedingt lernen kann. Regelmäßig funktionieren Autodidakten in diesen Positionen während studierte Topkräfte regelmäßig versagen. Die Ukrainer führen seit 10 Jahren Krieg. Da soll sich bis heute niemand mit Talent herauskristallisiert haben den man in den letzten Jahren zu einem halbjährigen Intensivkurs an westliche Militärakademien hätte schicken können? Das ist doch zu billig. Wenn man wollen würde wäre es ohne jeden Zweifel möglich Stäbe aufzubauen, die zum führen mehrerer Brigaden und sonstiger Truppenteile befähigt sind. So groß ist der Sprung dann auch wieder nicht.
Zitat: Du überschätzt die realen Gestaltungsmöglichkeiten.Heißt es in verfahrenen Situationen immer gerne bis einer kommt und es anders macht.
Ich sehe in der Ukraine nichts, dass den jetzigen beidseitigen Zermürbungskrampf zwangsweise bedingen würde. Die vermeidliche Zwangslage ist auch nicht sondern neu der besonders, alles schon mal dagewesen. Die Lösungen auch, man müsste sie, angepasst an die besonderen Umstände in der Ukraine halt auch anwenden wollen. Je weiter dieser Krieg fortschreitet und beide Seiten degenerieren, desto offensichtlicher und einfacher implementierbar werden diese Lösungen dann auch.