Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
Aufklärung und Bekämpfung in einem System zu vereinen hat Vor- und Nachteile. In vielen Fällen kann es sinnvoll sein, beides zu trennen und getrennt zu halten.

Spezifisch in Bezug auf Mörser, leichte Feldartillerie, Gebirgsgeschütze, ultraleichte Haubitzen sind reine spezialisierte Aufklärungsdrohnen absolut wesentlich. Ein Grund warum die Ukrainer mit uralten Gebirgsgeschützen erfolgreich sind liegt darin, dass sie deren Feuer mittels Drohnen sehr viel effektiver und effizienter machen konnten. Wobei der aufklärende Drohnen-Operator nicht direkt beim Geschütz ist, sondern über Relais und sehr oft sogar über Kabel mit diesem kommuniziert.

Andererseits sind Systeme welche Aufklärung und Bekämpfung vereinen und Systeme die nur der Bekämpfung dienen keinerlei Widerspruch, denn die erstgenannten können durchaus für die zweitgenannten aufklären, und so hat man dem folgend schlagartig mehr Feuerkraft (weil Spezialisten diese für die Generalisten erhöhen).

Spezifisch in der Ukraine hatten die Russen lange Zeit die Hoheit bzw. einen deutlichen Vorteil bei den Aufklärungsdrohnen und setzten spezialisierte reine Aufklärer ein. Solange sie darin überlegen waren und der Kampf um die Aufklärung im Himmel von ihnen mehrheitlich gewonnen wurde, war das primäre Problem der Ukrainer die russische Artillerie. Seit die Ukrainer hier aufgeholt haben und russische Aufklärungsdrohnen inzwischen viel besser bekämpfen können, sinkt die Bedeutung russischer Artillerie deutlich und stieg die Bedeutung von Drohnen auf russischer Seite massiv.

Ob Drohnen dominieren oder andere Systeme wie Artillerie hängt also nicht allein davon ab, was von beidem "besser" ist, sondern ist primär auch eine Frage wer den aktiven aggressiven Kampf um die Aufklärung dominiert. Je mehr diese umstritten ist, desto stärker rücken Systeme in den Vordergrund die Aufklärung und Bekämpfung vereinen, je klarer man darin den Vorteil hat, desto stärker wirken "Spezialisten".

Der wesentlichste Punkt aber ist, dass man den Kampf um die Aufklärung so schnell und so weitgehend wie möglich für sich entscheiden kann. Alles andere ergibt sich dann meist erst daraus.

Feuerkraft , Bewegung (im allerweitesten Sinne), und "Blut" (menschliche wie materielle Verluste) sind im weiteren austauschbare Werte. Dabei hat indirektes Feuer in der praktischen Realität oft erstaunlich wenig Wirkung - erzeugt also wenig "Blutverlust" beim Gegner. Es werden gigantische Mengen an Munition und sonstigen Wirkmitteln verbraucht und dadurch verblüffend wenige Feinde getötet (im Verhältnis zum Aufwand und der eingesetzten Feuerkraft). Entsprechend kommt es darauf an, die Feuerkraft so hart, so umfangreich und so gezielt einzusetzen, dass diese Minderwirkung zumindest im Schwerpunkt überwunden wird. Dies ist mit bodengestützten Systemen gar nicht so leicht, zumal die heutige Transparenz dann am Boden leicht Konterkonzentration ermöglicht.

Entsprechend ist meiner Meinung nach vor allem die operative und taktische Beweglichkeit elementar. In der Bundeswehr hingegen betont man aktuell die strategische Beweglichkeit auf Kosten der beiden genannten anderen Bereiche. Die indirekte Feuerkraft muss daher auf der operativen und taktischen Ebene so schnell und so beweglich wie nur irgendwie machbar sein. Dies lässt sich nur mit der Luftwaffe nicht bewerkstelligen, diese bedarf also zusätzlicher anderer Systemverbünde um Feuerkraft in einem Gebiet schlagartig immens konzentrieren zu können um einen entsprechenden Schwerpunkt der Feuerkraft zu schaffen.

Mit diesem wäre dann im weiteren auch der direkte Frontalangriff möglich, und diesem folgend Durchbruch und Exploration desselben. Flankieren hat hingegen auf der taktischen, bedingt auch auf der operativen Ebene meiner Meinung nach an Wert verloren bzw. wird immer schwieriger (Stichwort umgehen von endlos ausgedehnten Minenfeldern, Konterkonzentration hochmobiler Feurkraft, weitreichende massive Feuerkraft, übertiefe Verteidigungsstellungen, extreme Dislozierung, sehr weit in der Tiefe noch vorhandene Reserven usw.). Anders sieht es mit dem Flankieren auf der strategischen Ebene aus, wo man entsprechende grundsätzliche Bewegungslinien hat.

Hat man zudem eine hochindustrielle Gesellschaft mit entsprechenden Produktionskapazitäten, kann günstige Technologiekiller explorieren und entsprechende Wirkmittel günstig in Masse produzieren, und nutzt Standardisierung und Synergieeffekte, kann man beim "Blut" die Gewichtung von menschlichen Verlusten sehr weitgehend zum Verlust günstiger Maschinen verschieben. Dies hat man mit dem Primat der Luftwaffe bei westlichen TM Streitkräften schon erreicht, wenn auch zu sehr hohen Kosten. Diese Kosten des Verschiebens von menschlichen Verlusten zum Verbrauch von Maschinen (im weiteren Sinne) so weit wie möglich zu senken, muss daher vor allem anderen das primäre Ziel für die nähere Zukunft sein.

Und entsprechend benötigt die Luftwaffe möglichst kostengünstige Ergänzung und möglichst kostengünstige Effekte, um den Mittelaufwand für sie zu reduzieren und deutlich mehr Quantität in der Feuerkraft bereitstellen zu können.

Wenn man nun bei Drohnen Aufklärung und Bekämpfung vereint, im Idealfall auch noch vollautonom und vernetzt etc. erhöht dies die Kosten pro eingesetztem Verbrauchsmittel drastisch. Dies läuft genau dem eigentlichen Ziel entgegen, die Kosten der indirekten Feuerkraft zu senken.

Das ist die aktuelle Quadratur des Kreises, welche man auflösen müsste.

Ich würde dabei in extremistischer Weise so weit gehen, klassische konventionelle Rohrartillerie aufzugeben und stattdessen völlig andere Fähigkeitsverbünde und Waffenkomplexe aufzubauen - und insbesondere die Luftwaffe so zu gestalten dass sie viel mehr Quantität zu geringeren Preisen aufbringen und auch einsetzen kann, und dem folgend die anderen Systemverbünde so zu gestalten, dass sie diese Feuerkraft ergänzen und massiv verdichten können, und dies bei möglichst großer eigener Mobilität.

Praktisch ausgedrückt würde ich sogar so weit gehen, hier und jetzt einfach alle Kampfpanzer und Panzerhaubitzen aufzugeben. Radikale Veränderungen sind notwendig.
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RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - von Diogenes - 05.03.2025, 01:29
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