05.10.2023, 11:30
Zitat:Wenn wir uns diesem Krieg verweigern, werden wir ihn verlieren. Wer die Drogenbanden und die OK bekämpfen will, der sollte mal als erstes Werk überhaupt La guerre moderne lesen.Ich denke zwar, dass der Ansatz von Trinquier in seinem Kontext nicht falsch ist, aber im speziellen Fall, also bezogen auf Europa, über das Ziel hinaus zielt.
Es ist sicher noch einmal eine andere Situation, wenn man sich z. B. die Lage in Mexiko anschaut, wo wir es tatsächlich mit einer Art von barbarischem Krieg von schwer bewaffneten, quasi Söldnerarmee-ähnlichen Kartellen zu tun haben. Da kann und muss man wohl diese COIN-Ansätze etc. umsetzen und entsprechend hart militärisch vorgehen. Aber in Europa haben wir diese Lage - gottlob - nicht. Infolgedessen sollten wir auch nicht solche Szenarien als Vergleich bemühen, denn wir würden damit uns zu sehr von der (teils zwingend notwendigen) Ermittlungsarbeit ablenken.
Das zweite Problem könnte sein, dass uns selbst die Politik der harten Hand entgleitet und wir mit ihr unkalkulierbare Flurschäden bewirken. Und dass dann am Ende zwar eine Brutalisierung des Alltages und der Polizeiarbeit stattgefunden hat, aber die Drogenproblematik nicht wirklich eingedämmt wurde.
Ein Bsp. wären die Philippinen - die Drogenepidemie dort war einer der Gründe für den Wahlsieg von Duterte 2016. Mal von seinen antisemitischen Verbalinjurien abgesehen, hat er mit aller Härte gegen die Drogen einen "Krieg" losgetreten. In der Folge kam es zu schweren Rechtsbrüchen - willkürliche Liquidierungen, Morde auf offener Straße durch Sicherheitsbehörden, Folter auf Polizeistationen etc. (vermutlich 10.000, vielleicht auch mehr als 25.000 Tote). In der Folge sank das Vertrauen in die Sicherheitsorgane deutlich.
Und das schlimmste: Das ganze Vorgehen war noch nicht mal von Erfolg gekrönt. Man hat oftmals nur Süchtige oder Kleindealer (und Unschuldige und Straßenkinder, die eben zur falschen Zeit am falschen Ort waren) auf der Straße niedergeschossen, aber die großen Kartelle eben kaum tangiert. Im Gegenteil: Sieben Jahre später ist die Zahl der Abhängigen - nach seriösen Schätzungen - quasi gleichgeblieben (wobei Duterte die Aussage tätigte, die Zahl der Drogenuser habe sich halbiert (?) - aber er muss seinen brutalen Kurs ja auch irgendwie rechtfertigen). Ein weiteres Ergebnis: Der Meth-Preis auf den Philippinen ist seit 2017 gesunken um beinahe 30% - wäre der polizeiliche Druck erfolgreich, hätte er wegen einer Verknappung eigentlich steigen müssen.
Insgesamt hat also die Politik der "harten Hand" keinen wirklichen Erfolg gebracht. Sicherlich mag man sagen, man könne das Justiz- und Polizeisystem der Philippinen nicht auf Europa übertragen, aber zumindest im Ansatz ist es ein beispielhafter Fall, wo der brutale Angriff der Staatsmacht auf die Drogensystematik letztlich verpufft ist - mit schweren anderweitigen "Flurschäden". Es muss also nicht die Paradelösung sein.
Schneemann