09.10.2013, 13:59
Schneemann schrieb:Das könnte die falsche Entscheidung zum falschen Zeitpunkt sein. Jetzt, nachdem sich offenkundig die Konflikte zwischen Staatsapparat und Islamisten auch außerhalb des Sinai schon erheblich hochgeschaukelt haben (auf der Halbinsel haben wir eh schon de facto eine schwelende Kleinkriegslage), ist es im Grunde schon zu spät, nun zu versuchen, mit Kürzungsdrohungen die Lage zu beruhigen bzw. das ägyptische Militär so zur Zurückhaltung zu zwingen. Derweilen wäre es nun eher an der Zeit, den ägyptischen Staatsapparat im Konflikt mit den Fundamentalisten zu stärken. Zumindest müsste dies eher im Interesse der USA, Europas sowie auch Israels sein.
Der "ägyptische Staatsapparat" ist nett gesagt, ist er doch tatsächlich eine astreine Militärjunta, die ihre Halbwertszeit bereits überschritten hatte. Also eine Art wieder zum Leben erwachter Zombie mit Axt im Rücken. Sie wird zweifelsohne wieder stürzen. Das ist auch den tatsächlichen Hoffnungsträgern Europas um den Liberalen Mohamed ElBaradei sonnenklar. Die stehen wohl gerade bewusst im Hintergrund. Die Frage ist wie und durch wen dieser erneute Sturz stattfindet. Dass die USA ihre Hilfsgelder für das ägyptische Militär kürzen trägt diesem Umstand ebenfalls Rechnung. Das ist keine Karte auf die man hohe Summen setzt, da sie verlieren wird. Die Frage ist nicht ob, sondern wann, wie und durch wen?
Die abgesetzten Muslimbrüder, weiterhin ein demographisches Schwergewicht, werden sicherlich nicht plötzlich aufhören Muslimbrüder zu sein, nur weil ihre Partei verboten wurde. Die Radikalen, also die Salafisten, werden mit jeder Iteration des Kreislaufs Militärjunta -> Revolution X1 -> Militärjunta -> Revolution Xn größeren Zulauf erfahren, gerade auch von Seiten der Muslimbrüder. Die ägyptische Gesellschaft wird tendenziell ebenfalls mit jeder Iteration weiter auseinanderdriften, es sei denn ein großer Führer kommt von irgendwoher und durchbricht damit diesen Prozess.
Deine Forderung die Militärjunta zu stärken, kommt damit mechanisch einer Stärkung der Salafisten und einer Zunahme des Konfliktpotentials gleich. Das erscheint nur auf den ersten Blick paradox. Die Saudis sind extrem clever und haben diese Mechanik durchschaut. Sie haben begonnen sowohl den ägyptischen Salafisten sowie auch den ägyptischen Militärs sehr hohe Geldsummen in die Hände zu geben. Damit halten sie den genannten mechanischen Hebel komplett in ihrer Hand.
Da Du Israel erwähnst. Sie werden sich zukünftig nicht mehr mit arabischen Nationalisten auseinandersetzen müssen. Von dort lauerte die Hauptgefahr existentieller Natur für den zionistischen Staat. Mit Radikalislamisten hatten sie doch in Wahrheit bisher noch den geringsten Ärger, allenfalls Geplänkel. Deine Sorge ist also vollkommen unbegründet. Ein anti-israelisch angehauchter, arabischer Nationalismus in Ägypten wäre die deutlich größere Gefahr.
Zu der aktuellen Entwicklung auf der Sinau Halbinsel hat SpOn einen lesenswerten Artikel veröffentlicht:
Zitat:Blutige Militärkampagne: Auf dem Sinai wächst die Wut auf Ägyptens Armee<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.spiegel.de/politik/ausland/aegypten-auf-dem-sinai-waechst-wut-auf-armee-und-sisi-a-926949.html">http://www.spiegel.de/politik/ausland/a ... 26949.html</a><!-- m -->
Von Christoph Sydow
Ägyptens Militär geht auf dem Sinai gegen Terroristen vor, heißt es offiziell. Doch die Bewohner der Halbinsel berichten von wahllosen Angriffen. Die Armee walzt ganze Straßenzüge nieder und entfacht so den Zorn der Einheimischen.
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Die staatlichen Medien in Kairo, die den Kurs der neuen Führung widerspruchslos unterstützen, behaupten, dass die Menschen auf dem Sinai - Beduinen, Stammesführer, lokale Würdenträger - die Armeeoffensive begrüßen würden. Ein ungeschöntes Bild der Lage zu bekommen, ist schwierig, denn das Militär hat die Halbinsel fast komplett abgeriegelt. Armeechef Sisi will verhindern, dass das Image der heldenhaften Streitkräfte Risse bekommt.
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Jetzt ist es Journalistinnen der US-Online-Magazine "Slate" und "McClatchy" gelungen, auf den Sinai vorzudringen. Ihre Berichte bestätigen Abu Draas Vorwürfe. Die ägyptische Armee gehe in der Region nicht nur gegen angebliche Aufständische vor, sondern gegen jeden, der Kontakte mit mutmaßlichen Rebellen unterhält. In der von Stammesbeziehungen geprägten Beduinen-Gesellschaft ist das fast jeder.
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Nach Angaben von Ibrahim al-Minai, der ein Bündnis verschiedener Stammesgruppen auf dem Sinai anführt, sind seit Beginn der Militäroperation mindestens 52 Zivilisten von der Armee getötet worden - unter ihnen 16 Frauen und Kinder. "Diese barbarischen Taten haben zu einem Vertrauensverlust geführt, der in hundert Jahren nicht wieder gutzumachen ist", sagte Minai dem "Slate"-Magazin. "Wenn wir uns verteidigen müssen, werden wir das tun." Die Armee reagierte auf ihre Weise: Zwei Tage, nachdem Minai mit der Journalistin Nadine Marroushi gesprochen hatte, bombardierte das Militär seine beiden Häuser und die Versammlungshalle seines Stammesverbands.
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Das geht also womöglich noch früher in die Hose, wie gedacht...