08.10.2013, 14:28
Zitat:Der Zionismus entwickelte sich im gegenseitigen Hochschaukeln der religiösen Intolerenz zwischen gläubigen Christen und Muslimen auf der einen und gläubigen Juden auf der anderen Seite, befeuert durch die behauptete "Nichtzugehörigkeit" zu dem Volk, in dem die jüdischen Gemeinden ihre Heimat hatten. [...] Diejenigen, die Juden noch nach Jahrhunderten der Migration als eigenes Volk bezeichneten, haben mit zur mangelnden Integration bzw. zur Ausgrenzung beigetragen...Das ist so nicht korrekt. Die Behauptung, die Ausgrenzung sei durch die Nichtzugehörigkeit entstanden, ist falsch. So lassen sich etwa in Spanien vor der Ausweisung 1492 viele Beispiele finden, in denen Juden versuchten, sich der inquisitorischen Verfolgung, nachdem sich die Inquisition nach der Reconquista und dem Kampf gegen die Mauren auf die jüdischen Gemeinden zu konzentrieren begann, dadurch zu entziehen, indem sie sich noch mehr anpassten und teils sogar zum Christentum konvertierten, um der Verfolgung zu entgehen. Genützt hat dies nichts, im Gegenteil: Je mehr sich die Juden in Spanien versuchten anzupassen, umso mehr hat man ihnen gegenüber seitens der katholischen Kirche den Verdacht vorgebracht, es seien alles nur Scheinanpassungen, was dann wiederum die Verfolgung durch die Inquisition noch mehr intensivierte. Egal also, wie sich die jüdischen Gemeinden verhielten, egal ob als eigene Volksgruppe, als Religionsgemeinde oder als der Krone treue Konvertiten zum Katholizismus, sie wurden Ziel der Verfolgung.
Dieses notgedrungen verzweifelte Verhalten, sich anzupassen, ja der Wunsch, akzeptiert in den jeweiligen Gesellschaften zu werden, taucht auch vielen anderen Staaten auf. In Frankreich vor dem Dreyfus-Skandal war es ebenso, ebenso im Deutschen Reich in der Kaiserzeit und in Russland. Genützt hat es nichts. Juden konnten sich zumeist noch so sehr mit dem jeweiligen Staat identifizieren, sich für ihn einsetzen, am Ende stand doch wieder oft dennoch der alte Ausgrenzungsreflex, wobei dieser indessen von Staat zu Staat völlig unterschiedliche Wurzeln hatte, die beileibe nicht immer was mit einem Volksgedanken am Hut hatten (z. B. gab es etwa religiöse Wurzeln [Spanien], eine Sündenbock-Suche und Unterstellungen hinsichtlich einer Finanz-Verschwörung [Zarenreich, Frankreich], einen "völkischen" Rassismus [Deutsches Reich] und auch eine geopolitisch-religiöse Feindschaft [Nahost]). Insofern hatte die Verfolgung auch nichts mit einem Hochschaukeln im gegenseitigen Sinne (wo soll dies denn bitte historisch betrachtet auch geschehen sein?) oder mit einem wie auch immer gedeuteten Volksbegriff zu tun, so wie du implizierst, sondern mit dem Intoleranzproblem der jeweiligen Gesellschaften und Staaten, die von Fall zu Fall das jeweils passendste Verfolgungsargument zur Ausgrenzung konstruierten.
Schneemann.