02.05.2010, 18:53
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Zitat:KIRGISIENeine sehr umfassende Analyse - eine der besten, die ich in letzter Zeit gelesen habe
Epizentrum der Großmachtinteressen
Am 07. April 2010 wurde der Präsident der Republik Kirgisien, Kurmanbek Bakijew, gewaltsam gestürzt. Ein Vorgang, der in ähnlicher Weise bereits vor fünf Jahren zu beobachten war - damals wurde Askar Akajew im Rahmen der Tulpenrevolution von Bakijew aus seinem Amt enthoben. Ebenfalls am 7. April dieses Jahres wurde die Weltöffentlichkeit Zeuge eines anderen Ereignisses: US-Präsident Barack Obama und sein russischer Amtskollege Dmitri Medwedew vereinbarten den weiteren Abbau ihrer jeweiligen Atomwaffenarsenale. Die Parallelität dieser Ereignisse verdeutlicht einmal mehr, wie sehr sich die Welt im Umbruch befindet.
Von Behrooz Abdolvand und Heinrich Schulz
EM 05-10 · 01.05.2010
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Konkurrierende politische Eliten
Bei genauerer Betrachtung der politischen Machtverhältnisse im postsowjetischen Kirgisien wird deutlich, dass man es mit einer Dualität von Elitenstrukturen zu tun hat, die in ähnlicher Weise auch in den anderen Staaten Zentralasiens beobachtet werden kann. Eine Gruppierung besteht aus ehemaligen Sowjet-Kadern.
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Eine weitere Gruppe, die in sich sehr heterogen ist, bilden die verschiedenen Stämme und Ethnien Kirgisiens. Während die Elite im Norden des Landes eher sowjetisch und von der russischen Kultur geprägt ist, ist der Süden eher durch den Islam und durch Tribalismus (Stammeswesen) charakterisiert.
Die verschiedenen Stämme und Ethnien unterscheiden sich allerdings nicht in ihren ideologischen Vorstellungen. Ähnlich wie in Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan und sogar Afghanistan handelt es sich bei den politischen Parteien in Kirgisien um nach Macht strebende Gruppierungen, die die Interessen ihres jeweiligen Stammes oder ihrer jeweiligen Ethnie durchzusetzen suchen. Politische Grundsätze haben hier nur eine untergeordnete Bedeutung.
Der Weg zur Macht führt über die Stammeszugehörigkeit
Somit führt auch für die kirgisische politische Elite der Weg zur Macht über die Stammeszugehörigkeit.
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Die Flucht des ehemaligen Präsidenten nach Dschalalabad, um den Schutz seines Stammes zu suchen, ist ein weiteres Zeichen von Tribalismus innerhalb der politischen Elite des Landes, wobei hier angemerkt werden muss, dass Bakijew offensichtlich der Auffassung war, dass dieser Schutz nicht mehr ausreiche, da er kurze Zeit später nach Weißrussland floh.
Wachsende Bedeutung der „Islamische Partei der Befreiung“
Daneben gilt es eine weitere Gruppierung zu berücksichtigen. Der islamische Fundamentalismus breitet sich zunehmend in Kirgisien aus. Die „Islamische Partei der Befreiung“ oder auch Hizb ut Tahrir ist zunehmend in der Lage, ihre Position als politische Kraft in dem von Korruption und Vetternwirtschaft geprägten Kirgisien zu konsolidieren. Ein Phänomen, das auch in den anderen Staaten Zentralasiens zu beobachten ist.
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Konkurrierende Großmächte
Obwohl Kirgisien keine nennenswerten Vorkommen an Öl oder Gas besitzt oder als wichtiges Transitland für Pipelines fungiert, scheint es für Großmächte wie die USA, Russland oder China von großem Interesse zu sein. Der Grund für das Interesse an Kirgisien liegt unter anderem an dessen geostrategischer Position. China, der Iran, Afghanistan und Russland befinden sich in seiner Nähe.
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Pilotprojekt für ein neues „Great Game“
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Durch den Fortgang des Afghanistan-Krieges und die strategische Bedeutung, die der Stützpunkt Chanabad für die logistische Unterstützung der US-Truppen in Afghanistan hatte, sahen sich die USA gezwungen nach einem neuen Stützpunkt in Kirgisien zu suchen.
Seit 2002 ist Russland in Kirgisien mit Truppen präsent
Die Präsenz von US-Truppen in Kirgisien wurde von seiten Moskaus mit Unbehagen betrachtet.
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Die anhaltende Nutzung des Luftwaffenstützpunktes Manas durch die US-Streitkräfte wurde Gegenstand des Wahlkampfes. Nach einer umstrittenen Wahl gewann Bakijew die Präsidentschaftswahlen mit 76 Prozent der Stimmen. Sein Gegner Atambajew konnte anscheinend nur acht Prozent der Stimmen für sich verbuchen.
Die Rolle Russlands
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drängte die kirgisische Führung darauf, dass Russland in der Provinz Batken an der Grenze zu Usbekistan einen Stützpunkt eröffnet. In diesem Gebiet gab es 1999 und 2000 Auseinandersetzungen zwischen der kirgisischen Armee und usbekischen Fundamentalisten.
Russland bevorzugte es stattdessen, seine Streitkräfte in Osch zu stationieren, wo bereits zu Sowjetzeiten ein Militärstützpunkt mit Luftwaffenbasis genutzt wurde.
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Dies führte dazu, dass Bakijew Verhandlungen mit der US-Regierung über die Einrichtung einer Basis in der Provinz Batken aufnahm. Beide Parteien einigten sich auf einen Vertrag, der ebenfalls eine Zahlung von 150 Millionen US-Dollar seitens der US-Regierung vorsah.
Bakijew beging also den Fehler, der US-Regierung genau dort die Errichtung einer Militärbasis zu gestatten, wo Russland keine haben wollte.
Die Rolle von Rosa Otunbajewa
Der Aufbau eines weiteren US-Stützpunktes nahe der usbekischen Grenze führte zu Unbehagen in Moskau. Die russische Regierung entschied sich daraufhin dafür, politische Persönlichkeiten in Kirgisien zu unterstützen, die russischen Interessen mehr entgegenkommen als die Bakijew-Regierung.
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Diese Aussage deutet darauf hin, dass eine neue Auseinandersetzung um die Nutzung des Stützpunktes Manas bevorstehen könnte.
Alternativen zu Kirgisien?
Die USA werfen Russland in diesem Zusammenhang vor, eine zweigleisige Politik zu treiben, so wird der US-Verteidigungsminister Robert Gates mit folgenden Worten zitiert: „Auf der einen Seite senden sie positive Signale, dass sie mit uns in Afghanistan zusammenarbeiten wollen, auf der anderen Seite arbeiten sie bei dem Flughafen, der für uns eindeutig sehr wichtig ist, gegen uns“.
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Auch die regionalen Folgen des Machtwechsels in Kirgisien sind nicht zu unterschätzen. In Usbekistan forderten die Extremisten ihre Anhänger dazu auf, die Regierung Karimov zu stürzen. Darüber hinaus leben im Süden Kirgisiens noch rund eine Million Usbeken, deren Verhältnis zu den Kirgisen stets von Spannungen belastet war. Bei Auseinandersetzungen im Jahr 1990 wurden ungefähr 1.200 Menschen getötet. Die Kämpfe konnten erst durch das Eingreifen sowjetischer Truppen beendet werden.
Wie kompliziert und angespannt die Lage in Kirgisien ist, verdeutlich folgender Umstand. Nach Gerüchten soll es sich bei den Scharfschützen, die auf die Menschenmenge vor dem Regierungssitz in Bischkek schossen, um usbekische und tadschikische Söldner handeln. Aus Angst vor einer weiteren Eskalation verzichten die Anführer der usbekischen Minderheit, das Thema der kulturellen Autonomie verhandeln zu wollen. Trotzdem hat die usbekische Minderheit Einheiten aufgestellt, um etwaige Angriffe kirgisischer Extremisten abwehren zu können.
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Sollte die usbekische Minderheit Opfer von Übergriffen in Kirgisien werden, könnte sich die Regierung in Usbekistan gezwungen sehen, in den Konflikt einzugreifen, was wiederum zu einer weiteren Ausdehnung des Konfliktes führen könnte.
Misstrauisch beobachten die Chinesen das Geschehen
Auch die chinesische Regierung verfolgt das Geschehen mit größter Aufmerksamkeit, da die uigurische autonome Provinz Xingjiang in unmittelbarer Nähe des kirgisischen Geschehens liegt. Die Uiguren sind muslimischen Glaubens und die chinesische Regierung befürchtet, dass uigurische Separatisten wieder aktiv werden könnten, um für die Einrichtung eines Kalifates in Zentralasien zu kämpfen, wofür auch die besagte Hizb ut Tahrir eintritt.
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