Israel-Palästina
Ich tendiere in dieser Frage ebenfalls mehr zu Shahab.

Für mich besteht in den israelischen Aktionen und den verfolgten Politiken spätestens seit etwa 1990 ein riesiges Loch zwischen der Realität einerseits, also der tatsächlich bestehenden geopolitischen Lage im Nahen Osten und der israelischen Wahrnehmung und Politik als Antwort auf diese Verhältnisse anderseits, sprich wie man politisch agiert und wie man dies rechtfertigt.
Ich akzeptiere, dass nach solch einer traumatischen Geschichte in Israel bestimmte Ängste und historische Motive eine große Bedeutung haben. Dennoch darf so etwas, darf der reine Bezug zur Geschichte, nie den aktuellen Bezug zur echten Lage ersetzen.
Israel hat auch unter den Oslo-Verträgen nie ernsthaft den Frieden mit den Palästinensern versucht, es hat nur bestenfalls auf einen Gnadenfrieden unter israelischen Bedingungen hingearbeitet, die die radikalen Palästinenser wie auch die breite Mehrheit immer wieder abgelehnt haben auf Seiten der Palästinenser.
Anstatt also die Probleme zu lösen und Frieden zu schaffen, wurde in Israel Politik auf der Basis alter Selbstbehauptungsängste gemacht. Und wie immer wurde aus Angst Aggressivität - noch heute fressen sich die israelischen Siedlungen in die Westbank.

Realiter bestehen Probleme und da kann man auch nicht drum rum reden. Wenn in der Westbank die Siedlerzahl seit Oslo sich verdreifacht hat und sogar illegale Siedlungen vom israelischen Staat Gelder erhalten, dann kann Israel sich nicht beschweren, wenn es beschuldigt und international stigmatisiert wird. Dass natürlich dies auch geschieht, weil Israel als repräsentatives Symbol für den Westen für viele "3.Welt"-Länder steht und sich hier wieder einmal eine gute Gelegenheit ergibt, den Westen für seine Verbrechen anzuklagen, muss man natürlich auch sehen. Und dass in anderen Weltgegenden für ähnliches weniger geschieht, weniger Aufmerksamkeit da ist, muss man auch sehen. Der Graben zwischen dem Norden, der "1. Welt" und der "3. Welt" ist eben doch noch immer breiter als man manchmal im Westen und bei kosmopolitischen Träumen zu denken glaubt. Auch ist eben bei vielen Völkern die Erinnerung an koloniale Demütigungen und Unterwerfung unter westlicher Knute noch sehr wach und hat einen hohen politischen und gesellschaftlichen Wert immer noch. Auch dies sollte man nicht unterschätzen und genauso wie man bei Juden ihre Erinnerung an den Holocaust miteinkalkulieren muss, muss man bei vielen Völkern der "3.Welt" eben mit antiwestlichen Ressentiments rechnen. Sowas sollte man wissen, insbesondere als Historiker.

Und nun noch ein paar Worte zur iranischen Rolle und zu Schneemanns Aussagen. Israel ist eben nicht Madagaskar oder die Sahara (und auch dort leben Menschen). Es gibt keine weißen Flecken, gerade als geschichtsbewusster Europäer sollte man wissen, dass bei allen Völkerwanderungen und Kolonisationen die jeweils alteingesessenen Populationen zum Problem werden.
Auch in Palästina gab es vorher eine Bevölkerung, eine, in der immer Juden lebten, aber seit Jahrhunderten zur Minderheit geworden waren. Als Historiker sollte man aber besonders wissen, dass die zionitische Nationalbewegung der Juden gerade zu dem Zeitpunkt ihre territoriale Manifestation erhielt, in dem die arabische(n) Nationalbewegung auch ihrerseits sich staatlich versuchte auszudrücken. Und Palästina gehörte nunmal auch zu dieser arabischen Nationalbewegung, war mehrheitlich arabisch. Solch eine Kostellation hätte an jedem anderen Fleck der Welt zu ähnlichen langwierigen Kämpfen geführt, denn auch die Araber wollten ihren Staat, wollten nach osmanischer Uunterdrückung "frei" sein und wurden mit einem westlichen Verrat und Völkerbundsmandatsgebieten überzogen. Israel wurde also nicht in den politisch und historisch leeren Raum gegründet. Da gab es Menschen/Populationen und auch politische Akteure, Absichten und Entwürfe. All dies wurde aber durcheinandergewürfelt.
Sei es wie es sei. Israel besteht und dies ist auch gut so. Aber man sollte gerade als historisch interessierter und kundiger nicht so naiv sein und die eigenen politischen Überzeugungen über einen tiefergehenden analytischen Blick in die Geschichte stellen. Die Probleme gibt es dort nicht nur. weil alle böse sind mit den Juden, sondern weil hier schlicht in einem Raum zwei Körper sich aufhalten und beide Körper am liebsten den Raum für sich hätten (und man kennt aus der Physik die Probleme aus solch einer Situation).
Und gerade auch beim Iran muss man die historischen Umstände einkalkulieren. Persien sah sich über lange Zeit seit dem 19. Jahrundert erheblichen britischen Gänglungsversuchen gegenüber, 1953 designten die USA und GB die politische Landschaft in Persien und unterstützten einen autoritären Schah. All dies wird nicht vergessen. Die USA, auch etwas in Nachfolgeschaft zu Großbritannien, ist für den Islamischen Iran eine Art natürlicher Feind geworden aus der historischen Perpsektive heraus. Und welchen engsten Freund hat der große Satan in der Region? Nun ja, wir wissen die Antwort. Für sie, das Überbeibsel kolonialer westlicher Entscheidungsmacht im Nahen Osten, der israelische Staat.
Mögen Ahmedinedschads Worte natürlich innenpolitisch ausgerichtet sein und von überhöhtem Populismus gekennzeichnet, so drücken sie doch eine historisch fundierte Perspektive aus, die ein wichtiger Teil der iranischen Selbstbeschreibung ist und auch allgemein von Bedeutung ist im Nahen und Mittleren Osten. Da streckt mehr dahinter als nur purer Judenhass Schneemann, auch wenn es für den westlichen Beonachter so klingen kann aufgrund der aggressiven Rhetorik.
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Nachrichten in diesem Thema
Israel-Palästina - von Helios - 23.05.2004, 14:06
RE: Israel-Palästina - von Quintus Fabius - 11.05.2021, 23:01
RE: Israel-Palästina - von Quintus Fabius - 12.05.2021, 10:55
RE: Israel-Palästina - von Quintus Fabius - 13.05.2021, 19:45
RE: Israel-Palästina - von Quintus Fabius - 15.05.2021, 15:36
RE: Israel-Palästina - von Schneemann - 07.08.2022, 08:44

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