Todesstoß für die NATO ?
#19
Sorry, Kosmos, aber du argumentierst wie ein rechtsnationaler Deutscher mit viel, viel Halbwissen, nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg: Man jammert nur über die eigene "Demütigung" und vergisst den ganzen Kontext drum herum.

Historische Kontextualisierung bei dir, wie du behauptest??
Fehlanzeige!! Du jammerst nur immer was von den armen Russen herum und relativierst russische Verbrechen. Dummerweise vergisst du aber, dass die russischen Verbrechen von gestern die aggressive Haltung den Russen gegenübern von heute begründet.
Du vergisst, dass erst die sowjetische Besatzung der baltischen Länder 1939 in Erpressungsverträgen bei vielen Balten auch die Sympathie für die Deutschen erzeugte, den der Feind meines Feindes ist mein Freund. Ähnliches kann man auch für die ukrainischen Nationalisten sagen, die dann sich später in der UPA formierten.

Du vergisst eben völlig, dass die Russen eben nicht nur arme Opfer der Unterdrückung und Demütigung durch den Westen sind, sondern auch "böse" Täter und sowas hat Folgen, mein Lieber.
Die "Befreiung" durch die sowjetische Armee 1945 im Baltikum, aber auch in ganz Osteuropa bedeutete eben auch Tot und Unterdrückung für viele (sehr schön, übrigens, wie in Polen Widerstandskommandeure der Ak, die gegen die deutschen gekämpft hatten, dann von den Sowjets ermordert worden...). Sowas will man nunmal nicht, schon gar nicht, wenn man sich historisch und kulturell zum Westen rechnen kann und will. Du kapierst das einfach nicht, dass die russische Herrschaft eine zeitweilige Expansion war und auf Gewalt und Unterdrückung gebaut war, aber damit letztlich sich entwickelnde Völker unter seine Herrschaft gebracht hat, die mit der Zeit nichts von dem autoritären Herrschaftsstil des russischen Reiches (egal in welcher Form es existierte oder sich nannte) mehr wissen wollten. Und dies schon gar nicht heute. In Estland oder Lettland gelten trotz aller realen Probleme trotzdem die Menschenrechte 10 Mal mehr als in Russland heute oder jemals. Und lustigerweise leben trotz aller Probleme das Gros der Russen dort trotzdem besser als in Russland. Aber wichtig ist, dass die Probleme heute eben eine Folge russisch-sowjetischer Herrschaft sind. Moskau hatte die zahllosen Russen dort angesiedelt um die Balten zu russifizieren. Dass nun nach Jahren der Herrschaft dies Probleme bereitet ist doch klar. Dennoch wird dies besser bewältigt, wenn die Balten in der EU und der NATO sind, weil dort die sich entwickelnden Demokratien abgesichert sind und auch von außen beeinflußt werden, alle Rechte und Prinzipien zu beachten. Wären sie allein, wären sie in einem cordon sanitaire wie die Staaten Osteuropas nach dem Ersten Weltkrieg, so wären die Probleme sehr viel größer und die russ. Minderheit und die baltischen Mehrheiten in viel ärgere Konflikte miteinander verwickelt, weil so die jeweiligen balt. Mehrheit in sehr viel mehr Angst und versuchter Bevormundung durch Moskau leben würde (also einer konfliktantreibenden Spirale aus Angst und Drohungen...)

Du verschließt schlicht die Augen davor, dass in Europa seit gut 150 Jahren sich immer mehr nationale Bewegungen gebildet haben, die dem Prinzip imperialer Herrschaft über viele Völkerschaften, so wie dies Russland symbolisiert, entgegensteht. Nicht umsonst stürzten schon 1918 alle größeren multinationalen Imperien - sozialwissenschaftlich ausgedrückt, ist das Zeitalter der Imperien daher in Europa lange vorbei, nur Russland und die Sowjetunion versuchten sich diesem realen Trend, der dir historischem Pseudo-Ass unbekannt ist, zu entziehen. Nun aber, nach der Niederlage der Sowjetunion (und nicht, einem generösen Rückzug, sondern einem Rückzug aus eigener Schwäche, aus einem Nicht-Können heraus...) entwickeln sich diese Gebiete Mittelosteuropas mit all seinen Problemen weiter in Richtung modernen/postmodernen Demokratien (mit allen Problemen inklusive). Das hat aber wenig gemein mit dem autokratischen Russland. Begriffe wie Zivilgesellschaft, die Leute wie Havel und Michnik in Anlehnung an Hannah Arendt wieder stark gemacht haben, trennen eben Mittelosteuropa von Russland. (Dies ist übrigens auch der Grund, warum in Tschechien oder Polen es nach der Wende anders lief als in Russland). Kulturell und Gesellschaftlich liegt und lag in einer Linie von Pskwo, Minsk, Kiew eine Trennlinie zwischen Ost und West. Und diese Trennlinie, diese Unterschiedlichkeit, nicht das sinnlose Geplapper von gut und böse, sorgt dafür, dass russ. Versuche der erneuten Herrschftsausweitung oder bloßer rhetorischer Spitzen in die Richtung auf Konflikt, aus erbitterten Widerstand treffen. Es geht nicht darum, wer gut oder wer böse ist. Es geht darum, was historisch/politisch/gesellschaftlich passiert, "paßt" und welche Folgen sich ergeben Kosmos.
Russland ist eben seit langer zeit verschieden von Ostmitteleuropa, das war 1800 so, war 1950 so und ist erst recht so 2008. Ein kluger Historiker schrieb mal (sinnbildlich für die Trennlinie): Polen und Russland - zwei Wege in die europ. Geschichte. Polen, das übrigens selbst ein multinationales Reich war, wurde durch die russ. Expansion zum Staat (der Wechsel von der inklusiven, alten Nationalität zur neuen, exklusiven Nationalität - übrigens wenn du redest, dass die "Polen" im 17. Jahrhundert russ. Boden eroberten, dann sollte dir mal jemand sagen, dass "Pole" damals nur eine allgemeine Kategorie, eine ethnisch leere Kategorie war - deine "Polen" waren Litauer, Ukrainer und "heutige Polen") und dies zusammen mit gesellschaftlichen Erneuerungsprozessen sorgte eben in ganz Osteuropa ab dem 19. jahrhundert für das Erwachen der Völker. Ab dem Punkt wurde die russ. Herrschaft endgütig zum historischen Anarchronismus. Und der immer weitere Versuch, sich ein nahes Ausland zu rechzuzimmern, wird eben in einer nationalen, beinah schon postnationalen Realität einer europäischen Einigung nur auf Widerstand stoßen...
Ich will hier also nicht auf gut oder böse hinaus, sondern schlicht, dass Russlands Modell, seine Vorstellung nicht mehr zur heutigen Zeit in Ostmitteleuropa passen und die Unterschiede zu groß geworden sind.

Denn nieman sieht sich mit Russland hier verbunden. Der Bürger in Riga schaut auf die Hanse zurück, auf die schwedische Herrschaft und die Verbindungen dorthin. Jemand in Lemberg, sehnt sich nach der ukrainischen nationalen Emanzipation, sieht die polnische und österreichische Geschichte. Und in Polen denkt man daran, dass man in Europa der erste Staat war, der eine moderne, geschriebene Verfassung hatte (die dank dem Eingreifens des despotischen Regimes in St. Petersburg nach einem Krieg wieder abgeschafft hatte).
Unsere europäische Zivilisation stellt eben auf die Entscheidung des einzelnen und der Mehrheit ab, auf Menschenrechte und Demokratie. Dafür hat man sich und will man sich in Ostmitteleuropa entscheiden. Russlands gelenkte Demokratie, seine autoritäre Regierung passt dazu nicht.
Und deshalb schreibe ich gegen dieses Jammerei der prorussischen Kreise, die sich nur über ihrer Demütigung empören. Aber die Sache eben ist doch etwas komplexer...


PS:
Zwei historische Ergänzungen zu Polen:
1.) Polen war in der Zwischenweltkriegszeit ein typischer Nationalitätenstaat, kein multinationales Imperium, d.h. man hatte Minderheiten, aber man beherrschte keine kompletten Völker. Weiterhin ist hier auch gut sichtbar, was ich bei Russland breiter beschrieben hatte: Das nationale Erwachen, die Bildung von nationalen Bewusstseinen von immer Völkern hatte ihre komplexen Folgerungen. Bedeutungsgehalte von Begriffen von "polnisch" oder "litauisch" hatten sich eben geändert das ganze 19. jahrhundert hindurch und davon blieb auch und gerade Polen nicht verschont, wo sich der Wechsel vom inklusiven Nationalismus zum exklusiven Nationalismus sehr deutlich wurde. Hatte sich der "Litauer" Adam Mickiewicz noch Anfang des 19. jahrhunderts ganz und gar als Pole gefühlt, so erwachten in vielen Gebieten Ostmitteleuropas eben neue nationale Gefühle (Tschechen, Litauer, Letten, Ukrainer, auf dem Balkan usw...). Auch in Polen hatte man damit bei der Neugründung des Staates Probleme, gab es innere Konflikte (Pilsudski mit dem Plan einer Förderation vs. Domowski mit seinem nationalen Groß-Staat). Auch die Polen hatten ihre Probleme mit der neuen Realität in Ostmmiteleuropa, damit, dass Identitäten sich wandelten (ein Verwandter von Pilsudski beispielsweise war litauischer General und kämpfte gegen ihn). Oftmals gingen die Risse sogar durch Familien, eben weil die Identitäten sich neu entwickelten. Aber das ist ein komplexes Thema und gehört eher in eine wissenschaftliche Erörterung über die Nationalbewegungen und ihre Folgen...

2.) Sicher hat Polen die Minderheiten schlecht behandelt, so, wie sie selbst behandelt wurden. Aber: weder die Litauer in Wilna, die dann sowjetisch wurden, noch die ukrainischen Nationalisten freuten sich über die sowjetische Herrschaft Kosmos. Die Ukrainer, die sich freuten, die Polen los zu sein, fluchten über die Sowjets und letztlich kämpften sie mit den Deutschen, eben weil sie unabhängig sein wollten und weder Polen, noch Sowjets/Russen. Du wirst ja sicher wissen mit deinem breiten Wissen, dass die UPA noch bis fast 1950 gegen die Sowjets kämpften. Du musst eingestehen, dass meine Thesen etwas mehr Reichweite haben als deine proruzss. Ergüsse...
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