26.10.2008, 23:02
@ TIger:
Einen aktuellen Punkt möchte ich noch ansprechen.
Es gibt im deutschen Stabilitätstgesetz als Zielvorgabe ein "magisches Viereck", das sich aus vier Zielen zusammen setzt:
- Stabilität des Preisniveaus,
- hoher Beschäftigungsgrad,
- außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie
- stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum.
Alle vier Ziele lassen sich nicht gleichzeitig verwirklichen. Zwischen den einzelnen Zielen bestehen vielmehr Konflikte und Wechselwirkungen, so dass sich wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Erreichung eines Ziels negativ auf die Realisierung anderer Ziele auswirken können. Dies wird auch durch die Phillips-Kurve => <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=V5WLL3">http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=V5WLL3</a><!-- m -->
verdeutlicht.
Bei der EZB ist der Schwerpunkt zu einseitig auf die Stabilität des Preisniveaus ausgerichtet. Das ist die wichtigste Kritik am EZB-Status - und diese Kritik bezieht sich auf die Beschränkung der Aufgabe.
Eine von politischen Weisungen abhänigige Zentralbank führt zu populistischen Interventionen, und die Geldmarktpolitik ist viel zu wichtig, um sie populistischen Tagesparolen zu öffnen. Ich meine auch, dass den Politikern manchmal der volkswirtschaftliche Sachverstand fehlt, um tagesaktuell Geld- und Finanzpolitische Entscheidungen zu treffen. Diese Entscheidungen sollten den Fachleuten überlassen werden.
Ich sehe das ähnlich wie mit der Justiz: die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz verpflichtet - das ist eine der wesentlichen Errungenschaften des Rechtsstaates.
Genauso muss es in Fragen der Geldwertstabilität sein.
Wir brauchen eine von Fachleuten geführte Zentralbank, die auf eine dauerhafte, wenngleich manchmal unpopuläre, Geld- und Finanzpolitik nach dem vorgenannten "magischen Viereck" ausgerichtet ist.
In dem Zusammenhang: die Forderung nach Infrastrukturinvestitionen in dem Papier ist richtig. Erst Roosevelts "New Deal" hat den US-Amerikanern ab 1932 die Überwindung des Börsencrash von 1929 (das Ergebnis einer expansiven Kreditspekulation und der Tatsache, dass auch seinerzeit der Lohanstieg niedriger war als der Produktivitätsanstieg) ermöglicht. Roosevelt hat in Infrastrukturmaßnahmen wie Straßenbau, Brücken, Flugplätzen, Elektrifizierungsmaßnahmen usw. investiert. Da haben wir ein gewaltiges Defizit nicht nur in den neuen Mitgliedsländern im Osten (und - nebenbei bemerkt - inzwischen auch wieder in den USA).
Die Kommissare werden letztendlich auch vom EU-Parlament bestätigt. Insofern besteht hier eine "indirekte Demokratie", die wiederspiegelt, dass die EU immer noch mehr ein Staatenbund als ein Bundesstaat ist. Das sieht man auch an der Regel, wonach jedem Mitgliedsland ein "Kommissar" zusteht. Die Kommissare sind also letztendlich auch die Vertreter der Mitgliedsstaaten, denen ein bestimmter Arbeitsbereich zugewiesen ist.
Das Konstrukt ist mir zu wenig. Ich mache keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass aus dem Staatenbund ein gemeinsamer Bundesstaat werden muss. Nur so kann Europa im Zusammenspiel der globalen Weltmächte seine eigenen Interessen vertreten, ohne zum Spielball anderer Mächte zu werden.
Das verlangt aber auch, dass - wie vorher geschrieben - dem Europäischen Parlament als unmittelbarer Vertretung des "Souverän Volk" eine wesentlich höhere Entscheidungskompetenz zugestanden werden muss.
Im Endeffekt müssten die Kommissare - wie eine parlamentarische Regierung - durch das Parlament gewählt und ggf. auch abgewählt werden können, nicht nur bestätigt. Und da ich ein Verfechter der parlamentarischen Demokratie bin, bedeutet dies auch, dass das Parlament über repräsentative Stimmkreise zusammengesetzt werden muss - und dann politische Gruppierungen nach der Mehrheitsmeinung der europäischen Staatsbürger, die durch Wahlen ausgedrückt wird, die Kommissare als "europäische Regierung" stellen. Das geht also weg vom "Mitgliederproporz" hin zu einem "demokratischen Parteiensystem".
Wir brauchen aber die 1. Garde in Brüssel, keine Austragspolitiker, die man auf nationaler Ebene nicht mehr gebrauchen kann.
Wir können nur gemeinsam die Globalisierung bewältigen - und nicht, wenn wir uns weiterhin nationale Rivalitäten der Mitgliedsstaaten in der europäischen Union leisten.
Auch deshalb plädiere ich für eine Stärkung des Europäischen Parlaments, das letztendlich tatsächlich über eine demokratischere Legitimation verfügt als etwa die Bundesregierung.
Tiger schrieb:@ErichMein größter Einwand richtet sich auf das "Demokratiedefizit". Tatsächlich hat das Europäische Parlament viel zu wenig Kompetenzen. Da ich überzeugter Demokrat bin wünsche ich mir, dass dieses einzige, vom Volk gewählte Gremium wesentlich mehr Kompetenzen hätte.
Um die Diskussion von hier
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also eine Seite zurück hier im Thread weiterzuführen...:
Zitat:Die BÜSO bezieht sich auf eine Veröffentlichung vom Mai 1996 - und einige der genannten Punkte sind tatsächlich zu hinterfragen.An welche der genannten Punkte dachtest du dabei?
Einen aktuellen Punkt möchte ich noch ansprechen.
Es gibt im deutschen Stabilitätstgesetz als Zielvorgabe ein "magisches Viereck", das sich aus vier Zielen zusammen setzt:
- Stabilität des Preisniveaus,
- hoher Beschäftigungsgrad,
- außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie
- stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum.
Alle vier Ziele lassen sich nicht gleichzeitig verwirklichen. Zwischen den einzelnen Zielen bestehen vielmehr Konflikte und Wechselwirkungen, so dass sich wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Erreichung eines Ziels negativ auf die Realisierung anderer Ziele auswirken können. Dies wird auch durch die Phillips-Kurve => <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=V5WLL3">http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=V5WLL3</a><!-- m -->
verdeutlicht.
Bei der EZB ist der Schwerpunkt zu einseitig auf die Stabilität des Preisniveaus ausgerichtet. Das ist die wichtigste Kritik am EZB-Status - und diese Kritik bezieht sich auf die Beschränkung der Aufgabe.
Tiger schrieb:Es gab in Europa verschiedene Modelle - die von politischen Weisungen abhängige französische Zentralbank oder die unabhängige deutsche Bundesbank, um nur zwei Beispiele zu nennen. In der Vergangenheit hatten wir mit der Bundesbank im europäischen Vergleich die besseren Erfahrungen.Zitat:Dazu gehört m.E. nach aber nicht die - der damaligen Bundesbank - nachgebildete Unabhängigkeit de EZB gegenüber politischen Eingriffen.Du stehst dem Punkt ablehnend gegenüber, da eine Abhängigkeit der EZB gegenüber politischen Eingriffen als Mittel der Konjunkturpolitik missbraucht werden könnte, richtig?
Wobei allerdings – um das Zitat von Strauss aufzugreifen – nicht etwas ähnliches durch die Einführung des Teuro geschehen ist. Allerdings nicht als Mittel zur Konjunkturpolitik, sondern um des politischen (Selbst-)Zweckes wegen, was imo verwerflicher ist.
Vielleicht ist besagte Unabhängigkeit der EZB gegenüber politischen Eingriffen auch gar kein so positiver Punkt.
Eine von politischen Weisungen abhänigige Zentralbank führt zu populistischen Interventionen, und die Geldmarktpolitik ist viel zu wichtig, um sie populistischen Tagesparolen zu öffnen. Ich meine auch, dass den Politikern manchmal der volkswirtschaftliche Sachverstand fehlt, um tagesaktuell Geld- und Finanzpolitische Entscheidungen zu treffen. Diese Entscheidungen sollten den Fachleuten überlassen werden.
Ich sehe das ähnlich wie mit der Justiz: die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz verpflichtet - das ist eine der wesentlichen Errungenschaften des Rechtsstaates.
Genauso muss es in Fragen der Geldwertstabilität sein.
Wir brauchen eine von Fachleuten geführte Zentralbank, die auf eine dauerhafte, wenngleich manchmal unpopuläre, Geld- und Finanzpolitik nach dem vorgenannten "magischen Viereck" ausgerichtet ist.
In dem Zusammenhang: die Forderung nach Infrastrukturinvestitionen in dem Papier ist richtig. Erst Roosevelts "New Deal" hat den US-Amerikanern ab 1932 die Überwindung des Börsencrash von 1929 (das Ergebnis einer expansiven Kreditspekulation und der Tatsache, dass auch seinerzeit der Lohanstieg niedriger war als der Produktivitätsanstieg) ermöglicht. Roosevelt hat in Infrastrukturmaßnahmen wie Straßenbau, Brücken, Flugplätzen, Elektrifizierungsmaßnahmen usw. investiert. Da haben wir ein gewaltiges Defizit nicht nur in den neuen Mitgliedsländern im Osten (und - nebenbei bemerkt - inzwischen auch wieder in den USA).
Tiger schrieb:das mit der "neutralen Zone" war die Idee der Sozialdemokraten, die etwa von deGaulle geteilt wurde - die CSU mit FJS war auf strammen Westkurs in engem Schulterschluss mit den USA.Zitat:Und er (FJS) hat sich damals schon für ein unabhängiges, mit den USA freundschaftlich verbundenes Europa eingesetzt....was vom Block-Denken des Kalten Krieges zeugt. Europa sollte eher eine neutrale Zone bilden, in der sich keine Supermacht einnisten kann.
Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Innerhalb Europas sollen die europäischen Mächte miteinander herrschen, außerhalb von Europa sollen sie gemeinsam mit anderen Mächten – vielleicht mit den USA, Russland, China usw. - herrschen.
Tiger schrieb:Die Kommissare werden aber durch die Regierungen "vorausgewählt" - und diese verfügen über eine demokratische Legitmiation.Zitat:Das ist inzwischen erreicht, leider aber mit einem demokratischen Defizit.Du spielst auf die EU-Komissare an, die inzwischen in ihrer Selbstherrlichkeit an die Komissare der alten Sowjetunion erinnern. Wozu sich die Frage stellt, inwieweit sie tatsächlich eine demokratische Legitimation haben.
Das Europäische Parlament hat für mich noch zu wenig Gestaltungsmöglichkeit, während die (immerhin auf demokratischer Legitimation beruhenden) Regierungsvertreter zuviel zu sagen haben - die EU ist aber inzwischen mehr geworden als ein Staatenbund.
Die Kommissare werden letztendlich auch vom EU-Parlament bestätigt. Insofern besteht hier eine "indirekte Demokratie", die wiederspiegelt, dass die EU immer noch mehr ein Staatenbund als ein Bundesstaat ist. Das sieht man auch an der Regel, wonach jedem Mitgliedsland ein "Kommissar" zusteht. Die Kommissare sind also letztendlich auch die Vertreter der Mitgliedsstaaten, denen ein bestimmter Arbeitsbereich zugewiesen ist.
Das Konstrukt ist mir zu wenig. Ich mache keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass aus dem Staatenbund ein gemeinsamer Bundesstaat werden muss. Nur so kann Europa im Zusammenspiel der globalen Weltmächte seine eigenen Interessen vertreten, ohne zum Spielball anderer Mächte zu werden.
Das verlangt aber auch, dass - wie vorher geschrieben - dem Europäischen Parlament als unmittelbarer Vertretung des "Souverän Volk" eine wesentlich höhere Entscheidungskompetenz zugestanden werden muss.
Im Endeffekt müssten die Kommissare - wie eine parlamentarische Regierung - durch das Parlament gewählt und ggf. auch abgewählt werden können, nicht nur bestätigt. Und da ich ein Verfechter der parlamentarischen Demokratie bin, bedeutet dies auch, dass das Parlament über repräsentative Stimmkreise zusammengesetzt werden muss - und dann politische Gruppierungen nach der Mehrheitsmeinung der europäischen Staatsbürger, die durch Wahlen ausgedrückt wird, die Kommissare als "europäische Regierung" stellen. Das geht also weg vom "Mitgliederproporz" hin zu einem "demokratischen Parteiensystem".
Tiger schrieb:Allerdings frage ich mich auch, wie sehr diese Demokratie-Defizite der EU – übrigens einer der Gründe für meine hier im Forum berühmt-berüchtigte Anti-EU-Haltung – nicht bloss das Symptom eines anderen Problems sind: Der Selbstherrlichkeit fetter Partei- und Wirtschaftsbonzen.Diese Gefahr besteht tatsächlich: die nationalen Parteien und Regierungen schieben "verdiente Parteimitglieder" (oder soll es heissen: "abgehalfterte Politiker"?) auf Brüsseler Posten ab. Stoibers "Anti-Bürokratisierung" kann das als Beispiel dienen.
Wir brauchen aber die 1. Garde in Brüssel, keine Austragspolitiker, die man auf nationaler Ebene nicht mehr gebrauchen kann.
Wir können nur gemeinsam die Globalisierung bewältigen - und nicht, wenn wir uns weiterhin nationale Rivalitäten der Mitgliedsstaaten in der europäischen Union leisten.
Auch deshalb plädiere ich für eine Stärkung des Europäischen Parlaments, das letztendlich tatsächlich über eine demokratischere Legitimation verfügt als etwa die Bundesregierung.