12.09.2007, 12:53
Zitat:Loser aus dem Sauerland
Was treibt Menschen wie Fritz G. und Daniel S. dazu, zum Islam überzutreten und sich Terror-Gruppen anzuschließen? Es ist die Nestwärme, mit der belohnt wird, wer freiwillig auf seinen freien Willen verzichtet, schreibt Henryk M. Broder.
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http://www.spiegel.de/politik/deutschlan...04,00.html
Besonders interessant finde ich da den letzten Satz von Broder.
Um seinen Artikel mal zu bewerten:
Im Grundsatz hat er sicher Recht, auch wenn er die Sache etwas polemisch, verzerrt und ungenau darstellt, aber das ist ja auch nur ein Zeitungsartikel, kein wissenschaftlicher Aufsatz.
Wobei er auch in diesem Punkt irrt: Er schreibt, dass über die Gründe und Mechanismen für die Radikalisieurng wenig bekannt ist. Hier muss ich deutlich widersprechen. Es gibt durchaus soziologische und islamwissenschaftliche Arbeiten über diese Themen. Einerseits wurde die Atomisierung, die Vereinzelung und Verunsicherung der Menschen in modernen Gesellschaften in vielen Arbeiten schon beschrieben: Familienbande erodieren, Partnerschaften existieren nur noch auf Zeit, Arbeitspaltzwechsel sind an der Tagesordnung, feste Bindungen und Orientierungen brechen weg sowohl in unseren modernen Gesellschaften, als auch in den sich langsam modernisierenden Ursprungsgesellschaften des Islams.
Andererseits gibt es auch Arbeiten (lese da gerade nebenbei an Olivier Roy, ist ein guter Literturtipp!), die zeigen, wie eine vereinfachte neofundamentalistische, salafistische Ideologie des Islams diese Verunsicherten anzieht und sie in ihren Bann zieht. Diese Attraktivität einer simplen Welterklärung und Sinnstiftung inklusive fester, individueller Orientierung hat ihren Charme eben besonders auf Abweichler von der herrschenden Ordnung bzw. Menschen, die durch Lebenskrisen, wenig Glück/viel Pech oder sozialen Ausschluss mit den jeweils herrschen Ordnungen nicht zurecht kommen. In diesem Punkt haben Marxismus, Rechtsradikalismus, radikaler Islamismus (obwohl inhatlich VÖLLIG verschieden ) zumindest als formale Alternativen eine ähnliche formale Funktionslogik: Will heißen, sie wirken jeweils als mögliche Alternative.
Und der neofundamentalistische Islam hat eben auch inzwischen im Westen einen gewissen Reiz, nicht zuletzt, weil er eben so stark in den Medien thematisiert wird.
Allerdings muss ich da dann doch noch einen kritischen Kommentar zu dem letzten Satz von Broders Headline loswerden:
Der Gewinn an solchen Ideologien ist eben die Sicherheit, die feste Orientierung, die die Unsicherheit der modernen Lebensführung absorpiert. Man hat so eine feste Sinnstiftung, die andere Lebensführungen eben ausschließt, so auch die gängige kapitalistische Konsumkultur. Ob man da jetzt seinen freien Willen verliert, das ist ne philosophische Frage anderer Natur. Hier ist Broder selbst Ideologe, denn man kann nämlich auch streiten, ob man als gut eingepasstes Mitglied und Nachahmer der kapitalistischen Konsumkultur denn einen freien Willen überhaupt hat bzw. ob solch einer überhaupt existiert.