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Liebes Forum,
wurde von einem Studenten gebeten dem Forum beizutreten. Bisher habe ich als Gast interessante Debatten mitverfolgt. Ich habe eine Bitte an die versammelte Expertise hier. Ich würde gerne Kritik, Impulse und Verbesserungsvorschläge zu meinem kriegskonzeptionellen Ansatz (Generations of War) einholen. Die in der Debatte vertretenen Positionen habe ich reformiert und weiterentwickelt (5-6.). Es reicht wenn Sie Seite 1-4 lesen und reflektieren. Freue mich auf kritisches Feedback.
https://metis.unibw.de/de/publications/4...e-bis-2030
Hintergrund zu Generations of War:
https://metis.unibw.de/de/publications/2...edrohungen
https://metis.unibw.de/de/publications/3...edrohungen
Hintergrund/Vorschlag zur Abwehr 4-6. Generation:
https://metis.unibw.de/de/publications/3...rteidigung
https://metis.unibw.de/de/publications/2...enz-denken
Beste Grüße
Pyrrhos
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(22.07.2025, 15:43)Pyrrhos schrieb: Liebes Forum,
wurde von einem Studenten gebeten dem Forum beizutreten. Bisher habe ich als Gast interessante Debatten mitverfolgt. Ich habe eine Bitte an die versammelte Expertise hier. Ich würde gerne Kritik, Impulse und Verbesserungsvorschläge zu meinem kriegskonzeptionellen Ansatz (Generations of War) einholen. Die in der Debatte vertretenen Positionen habe ich reformiert und weiterentwickelt (5-6.). Es reicht wenn Sie Seite 1-4 lesen und reflektieren. Freue mich auf kritisches Feedback.
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Hintergrund zu Generations of War:
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Pyrrhos
Das Gegendere stört leider massiv das Leseerlebnis. Vorallem ergibt es doch überhaupt keinen Sinn wenn man dann nicht einmal konsequent durchgendert.
Auch wird das Pferd mal wieder von hinten aufgezäumt. Die Unzufriedenheit in der EU kommt nicht daher dass Rußland Propaganda gegen die EU betreibt sondern die EU ist daran selbst schuld, weil sie zum Beispiel völlig weltfremde Entscheidungen trifft. Rußland will maximal diese schon vorhandene Unzufriedenheit verstärken. Meines Erachtens wird der Einfluß Rußlands darauf aber völlig überbewertet, weil man aus dem eigenen Elfenbeinturm heraus den Bodenkontakt zur Normalbevölkerung verloren hat.
Für die Problematik gäbe es eine recht einfache Lösung. Die EU-Politik sollte in Zukunft einfach keine Entscheidungen mehr gegen den Mehrheitswillen der EU-Bevölkerung durchboxen, wie zum Beispiel das geplante Verbrennerverbot usw. Dann würde die EU auch sehr schnell an Vertrauen zurück gewinnen. Alles Andere ist nur herumgedoktere an Symptomen und wird an der Gesamtsituation nicht viel ändern.
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lime:
Die Form ist doch völlig egal. Dann wird da halt eben gegendert, vollkommen irrelevant. Ist es nicht diese stete Überbetonung der Formen vor den tatsächlichen Inhalten, welche in dieser Bundesrepublik aktuell eines der wesentlichsten Probleme ist (übergreifend in allen Bereichen der Gesellschaft) ?!
Pyrrhos:
Zunächst mal willkommen im Forum. Leider war ich zwei Wochen abwesend, und komme daher erst jetzt dazu auf diese Fragestellung einzugehen. Allgemeine Kriegswissenschaft ist ja mein liebstes Feld, von daher muss ich naturgemäß schon darauf ausführlich antworten.
Ihr Werk war mir schon vor der Vernetzung hier im Forum bekannt, da mich kriegswissenschaftliche Modelle ja immer brennend interessieren. Vielen Dank dass Sie Ihre Thesen hier zur Diskussion stellen, ich fürchte nur, dass wir hier etwaig nicht dem dafür notwendigen Niveau entsprechen können, insbesondere da die Kürze und die sonstige Beschränktheit von Foreneinträgen jede ernsthafte Diskussion immer sehr erschweren. Dennoch will ich natürlich trotzdem den Versuch machen, auf ihre Thesen einzugehen.
Zunächst mal im Vorab: meiner Ansicht nach stellen Sie hier ein Modell auf, welches Entwicklungen und tatsächliche oder vermeintliche Veränderungen in der Kriegsführung in einer zusammenfassenden, eingängigen Art und Weise verdeutlichen und verbildlichen soll. Dabei greifen Sie das heute recht weit verbreitete Konzept von Generationen auf. Sie postulieren also, dass Kriege sich verändern, und dass man diese Veränderungen in Generationen zusammen fassen und beschreiben kann. Dadurch wird dann sofort eingängig bidlich klar, dass es mit einem Generationswechsel zu veränderten Umständen kommt, und damit ein Bild für den Betrachter des Modells erzeugt, dass dieser Umbruch durch einen Generationswechsel entscheidende Veränderungen erzeugt, und man daher mit entscheidenden Veränderungen auf der eigenen Seite reagieren müsste.
Als erste Kritik in bezug auf dieses Modell von 6 Generationen in der Kriegsführung unter der Annahme einer 5 Generation welche Sie als teleologische hybride Kriegsführung bezeichnen möchte ich anfügen, dass diese ganze Konzeption von Generationen in der Kriegsführung meiner Meinung nach mehr ein Problem als eine Lösung (für das Verständnis des Krieges) darstellt. Meiner Meinung nach gibt es im Krieg keine Generationen und finden sich jedwede Eigenheiten und vermeintlichen Umbrüche in der Kriegsführung auch ganz genau so in der gesamten und selbst in der frühesten Kriegsgeschichte. Nur als anekdotisches Beispiel: die klare Trennung von Krieg und Frieden ist ein Erbe der Kabinettskriege und einer spezifisch europäischen Kriegskultur, welche erst nach dem 30jährigen Krieg so entstand (und dies ebenfalls nie in wirklicher Reinform) - und die meiste Zeit der Kriegsgeschichte war der Übergang von Frieden und Krieg sehr fließend, teilweise sogar nochmals deutlich fließender als heute. Es gab diese postulierte Grenze zwischen beiden Zuständen so schon gar nicht.
Paralysierung als primäres Ziel, psychologische Einflussnahme, hybride Kriegsführung, Ausnutzung von Attributionsproblemen, Desinformation, Störung feindlicher Entscheidungsprozesse usw. usf. finden sich durchgehend von Anfang in der Kriegsgeschichte. Es gibt dafür unzählige Beispiele, weshalb sich die Frage stellt, warum diese Methoden eine neue Form der Kriegsführung sein sollen, oder warum sie überhaupt eine Generation begründen könnten.
Was sich stattdessen tatsächlich geändert hat, ist die Frage der Geschwindigkeit und die Frage der Quantität der Effekte im Verhältnis zur Zeit. Methoden und Effekte selbst aber sind die exakt gleichen. Es spielt dafür keine Rolle, ob man dafür Wanderprediger einsetzt, oder den Buchdruck, oder Smartphones und soziale Medien, es handelt sich um die gleichen Methoden, lediglich die Wirkung im Verhältnis zur Zeit verändert sich durch die Technik.
Um ein anderes Beispiel dafür zu nehmen: das Archer-Jones Modell verschiedener Truppentypen passt beispielsweise für die gesamte Kriegsgeschichte (wenn man es leicht modifiziert), weil sich die von von diesen Autoren identifizierten Truppentypen in Wahrheit nicht geändert haben. Es spielt keine Rolle ob Steine geworfen werden, Pfeile gelöst werden, man Feldschlangen abfeuert oder eine Rakete über hunderte Kilometer verschießt, alles sind gleichermaßen Missile Troops (in diesem Modell).
Daher propagiere ich schon seit langem, dass es keine Generationen im Krieg gibt, sondern dass es ein Kontinuum des Krieges gibt, eine beachtliche Kontinuität welche den Krieg grundsätzlich durchzieht und welche sich nicht ändert. Natürlich gibt es je nach den Umständen Methoden und Vorgehensweise, welche mal mehr oder weniger oder gar nicht verwendet werden, was aber nicht heißt, dass sie früher gar nicht vorhanden waren, oder dass die Voraussetzungen und Möglichkeiten dafür nicht vorhanden waren, sondern nur, dass die jeweiligen Möglichkeiten aufgrund irgendwelcher Umstände jeweils mehr oder weniger genutzt wurden.
Meine erste fundamentale Kritik wäre als die an den Generationen in der Kriegsführung. Wenn man in Abrede stellt, dass es solche gibt, erübrigt sich damit das ganze Modell bzw. das Bild welches es erzeugt.
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Mein zweiter Kritikpunkt wäre die Übernahme des ODAA Loop als wesentlichem Baustein in diesem Modell. Ich mag den ODAA Loop, halte ich aber für beschränkt und für unzureichend. Man kann damit als Wirkungsprinzip meiner Meinung nach nicht in allen Fällen ausreichend das Geschehen im Krieg darstellen. In die Prozesse des Gegners durch eigene Prozesse einzubrechen, war und ist im Krieg immer schon ein Vorteil gewesen, gar keine Frage. Es war daher auch schon immer die Zielsetzung, gleichgültig ob man einen Präventivschlag gegen das feindliche benachbarte Dorf führt, mit Panzern in den Bereitstellungsraum des Gegners einbricht während sich dieser dort noch sammelt oder heute mit Desinformation und Anschlägen die rückwärtigen Gebiete des Feindes verheert. Auch das ist also kein neues Prinzip in der Kriegsführung, sondern einfach nur einer grundsätzlichen Wirkungsmechanismen. Der ODAA Loop hat aber meiner rein persönlichen Meinung nach auch Beschränkungen in der Wahrnehmung des Krieges, weil er ein Funktionsprinzip (von mehreren) in überhöhter Form über alles stülpen will. Ich halte den ODAA Loop gerade im Kontext des Krieges für überschätzt, und lediglich für eine vereinfachte Darstellung absolut selbstverständlicher, ohnehin allgegenwertiger Prozesse. Es ist geradezu schade, wie das wesentlich umfangreichere Werk von Boyd auf diesen einen Allgemeinplatz hin reduziert wird !
Meine zweite fundamentale Kritik wäre daher die Verwendung des ODAA Loop an sich, weil dies als Modell zum einen meiner Meinung nach unzureichend ist, zum anderen weil es sich um einen Allgemeinplatz ohne großen Erkenntnisgewinn handelt.
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Nun zur sogenannten teleologischen Kriegsführung. Sie propagieren, dass man mit zwei Telos agiert. Zum einen soll mit dem ersten Telos, also kinetischer und nicht-kinetischer physischer "Einmischung", genauer gesagt also Wirkung der Wille des Gegners zu den eigenen Gunsten beeinflusst werden, bis hin zum Idealziel der Paralysierung. Auch das ist kriegsgeschichtlich nichts neues. Auch nicht, dass dieser erste Telos heute mehr indirekt stattfindet, bzw. weniger kinetisch ausgeführt wird, ist nicht neu. Der zweite Telos ist nun die nicht-kinetische, psychologische kognitive Wirkung, mit welcher der Wille des Gegners erneut und noch weitergehender beeinflusst werden soll. Sie sprechen hier von kognitiver Kriegsführung - welche das Ziel hat, es gar nicht erst zur konventionellen Eskalation kommen zu lassen.
Um es mal vereinfacht zusammen zu fassen: schlussendlich sprechen wir hier einfach von einer ganzheitlichen totalen Kriegsführung, bei welcher der Feind einfach in der gesamten Breite des möglichen angegriffen wird. Das ist ja eine Art der Kriegsführung, welche ich auch schon seit Jahren so propagiere. Im rein theoretischen Idealfall verstümmelt man einen feindlichen Soldaten, sorgt aber dafür, dass der Gegner ihn versorgen kann und muss, sendet der Frau des Soldaten live Bilder davon wie er verstümmelt wird, tötet das einzige Kind des Soldaten, räumt dessen Bankkonto leer, verseucht dessen Rechner daheim mit Kinderpornogragphie und Schadprogrammen, dichtet dem Soldaten an er habe Kinder im Krieg vergewaltigt und bringt den Feind dazu ihn als Verräter vor Gericht zu stellen, lässt den Soldaten im Lager vergewaltigen und mit Geschlechtskrankheiten infizieren, vergiften die Eltern des Soldaten damit diese schwer erkranken, und bringen dafür die Frau des Soldaten vor Gericht als vermeintlich Schuldige welche sich das Erbe besagter Eltern aneignen will, lässt diese dann im Gefängnis vergewaltigen und mit Geschlechtskrankheiten infizieren, nutzt die ganze Angelegenheit um Hass, Misstrauen, Verdächtigungen und Verfolgungswahn beim Feind zu schüren usw usw usw usf. Man wirkt also in jeder nur denkbaren Art und Weise.
Es handelt sich hierbei also höchst einfach um eine Form des totalen Krieges! Also schlicht und einfach um das absolut Böse (wie aus der Darstellung oben sofort ersichtlich sein sollte).
Man muss natürlich jetzt in diesem Kontext betonen, dass dies ein theoretischer Zustand ist, der praktisch so nicht erreicht werden kann. Deshalb nenne ich das, was sie hier teleologische hybride Kriegsführung nennen schon seit Jahren einfach den Versuch einer totalen Kriegsführung. Der Krieg selbst strebt gleich einer Entinität dabei ohnehin immer diesen totalen Krieg an. Er erreicht ihn aber nie ganz, weil es immer Hemmnisse gibt, zuvorderst, dass die Mehrheit der Menschen von Grund auf weder geisteskrank noch zutiefst böse ist (was eine der wesentlichsten Eigenheiten des Krieges als Entinität ist), und daher dieser Entwicklung immer mehr oder weniger Widerstand entgegen gesetzt wird. Zum anderen weil die technischen Möglichkeiten fehlen bzw. fehlten, und als nächstes, dass die Kultur, Religion, Werte und Normen, Sozialisierung usw. dem entgegen stehen.
Nun propagieren sie eine Veränderung in der Kriegsführung, im vorliegenden Fall durch die Russen, welche einen solchen Versuch einer totalen Kriegsführung im Rahmen des möglichen darstellt. Dabei verschiebt sich der Versuch der totalen Kriegsführung von kinetischen hin zu nicht-kinetischen Wirkungen / Effekten / Prozessen. Warum aber sollte dies eine neue Form der Kriegsführung sein ?!
Diese Verschiebung resultiert ja höchst einfach aus der enormen militärischen Assymetrie zwischen der NATO und Russland, wobei die Russen uns konventionell so extrem unterlegen sind, dass eine Abwicklung der Russischen Föderation mit militärischen Mitteln sofort und problemlos möglich wäre, wenn die Russen keine Nuklearwaffen hätten. Aus der Deckung / Sicherheit ihrer Nuklearwaffen heraus also müssen die Russen zwangsläufig mehr mit nicht-kinetischen Effekten agieren, dass ist also nichts neues, nichts besonderes und in keinster Weise bemerkenswertes, sondern schlicht und einfach ein Ausfluss der Kräfte-Assymetrie in welcher sie gar nicht anders agieren können. Es ist also ein Ausfluss von militärischer Schwäche des Feindes, bei gleichzeitiger militärischer Stärke auf der strategischen Ebene durch die Nuklearwaffen.
Die einzige Besonderheit in Bezug auf die Russen ist nun, dass sie in dem Versuch der totalen Kriegsführung schlicht und einfach viel näher an den totalen Krieg heran gehen als wir dies könnten. Warum ist dem so? Höchst einfach, weil die Mafia-Kamariall im Kreml schlicht und einfach böser ist (im Vergleich) - weil sie eine Gruppe der organisierten Kriminalität darstellt. Die einzige Besonderheit ist also, dass die Russen schlicht und einfach den Krieg / Nicht-Krieg viel mehr eskalieren, zum einen weil sie es aus ihrer Position der nuklearen Unverwundbarkeit können, zum anderen weil ihre Führer böse Menschen sind, und daher sich dem absolut Bösen (dem totalen Krieg) viel weitergehender annähern können.
Auch das ist aber kriegsgeschichtlich nichts neues, auch früher schon gab es Reiche, Staaten, Gruppierungen, welche ebenfalls viel näher an den Totalen Krieg heran kamen.
Meine dritte fundamentale Kritik wäre daher, dass sie schlussendlich mit dem Begriff der teleologischen hybriden Kriegsführung etwas mit einem abstrakten technischen Begriff umschreiben, was nichts anderes bedeutet, als dass ein böser, weil krimineller Gegner sich dem totalen Krieg mehr annähert als wir es könnten. Und dies kann er nur, weil er eine tatsächliche oder angenommene strategische Unverwundbarkeit hat.
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Dieser Versuch des Gegners sich der totalen Kriegsführung anzunähern - wohlgemerkt in den Bereichen in welchen er dies kann (geschützt durch seine Nuklearwaffen) - verwischt nun die Grenze von Krieg und Frieden , wie sie es ja auch so absolut richtig darstellen. Ich halte dies für die eigentliche Problematik aber auch dass ist eigentlich nur ein Allgemeinplatz und ist ebenfalls kriegsgeschichtlich nichts neues. Es gab diese Grenze die meiste Zeit ja ohnehin nicht (siehe auch oben).
Der Mensch neigt meiner Meinung nach dazu, Kriege in ritualisierter Form zu führen, bzw. er bevorzugt eigentlich sogar ritualisierte Kriegsführung. Dazu gehört schlussendlich auch die Trennung von Krieg und Frieden. Warum tut er das überhaupt? Denn sofort den absoluten totalen Krieg anzustreben erzeugt durch die Überspringung von Eskalationsstufen vorübergehende erhebliche militärische Vorteile, welche die Lage insgesamt so weit kippen lassen können, dass dadurch bereits nicht mehr korrigierbare Ungleichgewichte erzeugt werden. Jedoch kann es auch erhebliche Vorteile haben der Gute zu sein, und sich einzuschränken, dies benötigt aber eine Position der Stärke und der Überlegenheit. Gerade eben deshalb neigen unterlegene Feinde (welche ausreichend böse / kriminell / skrupellos genug sind) dazu, zu eskalieren, während überlegene Gegner zur Ritualisierung neigen. Und ebenso kann eine Trennung von Krieg und Frieden vorteilhaft sein, und ist der Zustand des ständigen Krieges bzw. die Wahrnehmung jedweden Geschehens als Krieg ein Problem.
Denn wenn jedwedes Geschehen von einfacher Einflussnahme über Wahlmanipulation bis hin zu Anschlägen auf kritische Infrastruktur durch irgendwelche Proxies sofort Krieg darstellt, so ergibt sich daraus eine Vielzahl von Problemstellungen.
Und das wäre meine vierte fundamentale Kritik an ihrer These, dass sie sich damit sozusagen auf das "Spiel des Gegners" einlassen, und indem jede Handlung des Feindes schlussendlich Kriegsführung wird, sich damit auf einen Kriegszustand mit diesem Feind einlassen. Dies kann aber höchst nachteilig sein. Denn zum einen ist der Feind auf der strategischen Ebene "nicht besiegbar" (Nuklearwaffen), zum anderen ist er grundsätzlich bösartiger / krimineller / vom Charakter her eher dem des totalen Krieges entsprechend. Lässt man sich daher auf einen solchen indirekten Krieg mit ihm ein, so hat er davon erhebliche Vorteile, weil er diesen querschnittlich (zumindest theoretisch) erfolgreicher führen kann als wir (aufgrund seiner Eigenheiten).
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Sie haben da einen ganz wunderbaren Satz der diese Problematik eigentlich anspricht: die Übernahme der Realität des Gegners !
Diese kann eben nicht nur durch die beschriebenen Methoden übernommen werden, sondern wir gleiten auch dadurch in die Realität des Gegners über, wenn wir dessen Realität, also die permanente Kriegsführung in allen Bereichen, die Aufhebung von Krieg und Frieden usw. für uns selbst gedanklich, sozial, kulturell, strategisch übernehmen. Der Gegner manipuliert uns also nicht nur durch die beschriebenen Methoden, er zwingt uns seine Weltsicht, Denkweise und damit seine eigene Realität auf, in dem er uns in diese hinüberzieht. Damit geraden wir selbst in einen Zustand, in dem alles was geschieht nur noch Krieg ist.
Dies ist jedoch für unsere Gesellschaften welche weder die gleichen Umstände noch (insbesondere!) die gleiche Art der Führung wie der Feind haben nachteilig bzw. es kann sehr nachteilig sein. Wir sind Meister im Go, wollen aber dann mit dem Feind Schach spielen, wo er Meister im Schach ist.
Die Aufhebung der Trennung von Krieg und Nicht-Krieg, spielt dem Gegner in die Karten, wobei er ja mit seinen Methoden diese Aufhebung ganz gezielt anstrebt, und vor allem anderen sie uns ebenfalls gedanklich und auch sonst in jeder Weise aufzwingen will. Ihr Modell aber, und dass wäre meine fünfte Kritik - übernimmt zu weitgehend die Auffassungen des Gegners, in dem es sich dessen Gedankenwelt aneignet. Es ist daher beispielsweise auch kein Wunder, dass Modelle von Generationen der Kriegsführung, die Idee der hybriden Kriegsführung usw. gerade in Russland stark verbreitet sind und die Russen diese Modelle propagieren und für sich zu explorieren versuchen.
Indem wir die in Russland vorherrschenden Modell für uns selbst übernehmen, machen wir uns aber zu weitgehend zu reagierenden und versuchen den Gegner in einem Spiel zu schlagen, in welchem er uns überlegen ist und überlegen bleiben wird. Statt den Feind mit völlig anderen Denkansätzen zu umgehen, zu überspringen, zu überrunden.
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Als kurze, sechste fundamentale Kritik, möchte ich anmerken, dass ihr Werk wie die meisten kriegswissenschaftlichen Werke zu abstrakt ist, zu sauber in der Sprache, zu wenig der Natur und dem Wesen des Krieges genügend. Wenn man das Abschlachten, Morden, Töten, heimtückische Niedermetzeln von Menschen in äußerst feine, gut klingende, wohlgewählte Worte packt, so hat das meiner Meinung nach das Problem, dass man dann sehr leicht gerade dadurch den Krieg nicht mehr recht greifen kann, weil die unfassbare bösartige Niedertracht welche der Krieg darstellt durch die zu starke Abstrahierung nicht mehr begreifbar ist. Wenn man die Dinge nicht einfacher, in klarer und greifbarer und bildlicherer Sprache darstellt, übersieht man meiner Meinung nach leicht bestimmte Anteile oder Umstände und kommt daraus dann etwaig zu falschen Schlußfolgerungen in der Gesamtheit.
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Beschließend als siebte fundamentale Kritik: Ihr Modell beschreibt schlussendlich eine Entwicklung hin von roheren, direkteren, gewaltsameren, brutaleren Methoden hin zu verfeinerten, immer abstrakteren, immer indirekteren Formen. Dies wird als Axiom in der Entwicklung dann einfach so als gegeben vorausgesetzt.
Zwar bilden Sie in Ihrer Grafik auf Seite 3 als Ausfluss der physischen THK eine Repriorisierung der 1. bis 4. "Generation der Kriegsführung ab, trennen aber davon die "Weiterentwicklung" zur angenommenen 6 Generation der Kriegsführung, welche dann ohne physische Gewalt ausgeführt werden soll. Ich halte zum einen diese Annahme einer Kriegsführung ohne pyhsische Gewalt für eine Fehlannahme. Und für ein Problem, weil sie im Sinne des Gegners und zu dessen Nutzen völlig die Frage was Krieg ist und was kein Krieg ist durcheinander bringt.
Denn damit wird der militärische Horizont so weit abgesenkt, dass es praktisch keinen militärischen Horizont mehr gibt.
Zum anderen stellt sich die Frage, inwieweit dies überhaupt die Zukunft sein kann oder soll. Ich halte es stattdessen für wesentlich wahrscheinlicher, dass der Krieg sich wieder weg von der so bezeichneten teleologischen hybriden Kriegsführung entwickelt, hin zu "früheren" Formen der Kriegsführung. Oder in meiner Sichtweise einfach sich ändernde Umstände und Anforderungen andere Schwerpunkte im Krieg zur Folge haben.
Jeder Krieg hat immer schon seit jeher Schwerpunkte gehabt, in der Art und Weise wie er geführt wurde, wie er stattfand usw. je nach den Umständen. Entsprechend gibt es gerade in der Strategie viel weniger Wirkprinzipien als die meisten glauben und ist diese viel unbestimmter. Deshalb halte ich das Modell für zu steif, zu eng, zu wenig der Beschränktheit der Strategie entsprechend, welche unzureichend ist, die zukünftige Entwicklung zu ergründen, da diese nur durch den militärischen Genius unterbewusst, also intuitiv erahnt werden kann (wenn überhaupt).
Es ist daher absolut gleichermaßen möglich, dass es nie zu einer angenommenen sechsten Generation kommt, wie auch, dass die zweite Generation die Zukunft sei, oder was auch immer. Es spielt aber auch gar keine Rolle. Stattdessen müsste man geistig möglichst frei und so spontan wie möglich sich dem jeweiligen Fluss welchen der Krieg nimmt anpassen, statt gleich im Vornherein bestimmte strategische Prinzipien anzunehmen.
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So weit erst einmal ein paar kurze Gedanken von mir dazu. Ihre Ansichten zu meinen bescheidenen Ausführungen würden mich außerordentlich interessieren.
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Gesondert will ich noch auf das Fazit der Studie 42 – Implikationen für die Bundeswehr auf Seite 9 eingehen:
Der Autor schreibt von tiefgreifenden Herausforderungen. Und ja natürlich, es ist immer eine tiefgreifende Herausforderung wenn der Gegner sich auf der Skala der Möglichkeiten Konflikte zu führen mehr in Richtung des totalen Krieges bewegt, damit Eskalationsstufen überspringt bzw. einzelne Bereiche auf dieser Skala intensiviert. Und dies natürlich umso mehr, je mehr die Technik die Effekte dieser Bemühungen verstärkt (Wirkung im Verhältnis zu den aufgewendeten Mitteln, insbesondere aber der aufgewendeten Zeit).
Ein Problem welches ich mit den Schlußfolgerungen jedoch habe, ist die meiner Ansicht nach zu defensive, zu reagierende, zu passive Art und Weise wie nun auf diese Intensivierung bestimmter Aspekte der Skala menschlicher Konflikte reagiert werden soll.
Ein weiteres Problem dieser defensiven Art und Weise der Reaktion ist, dass dies schlussendlich auf Unfreiheit, Überwachung und Methoden der Niederhaltung der eigenen Bevölkerung hinaus läuft und hinaus laufen muss. Und damit genau den Schaden anrichtet, welchen der Gegner hier dadurch anrichten will. Denn diese Unfreiheit und Dauerüberwachung der eigenen Bevölkerung, dass dadurch gesäte Misstrauen und der Zerfall der Kohäsion sind ja exakt das Ziel der feindlichen THK.
Die hier beschriebenen Reaktionen sind also genau das, was der Gegner gemäß diesem Modell erreichen will. Um es mit den Worten des Autors auszudrücken: der Feind ist damit in unsere Prozesse eingebrochen, er kontrolliert unsere Realität und zwingt uns seinen Willen ohne Gewalt auf, und dies zu unserem Schaden ! Denn die beschriebenen Methoden der Reaktion auf die vermeintliche THK des Gegners sind wenn man dieses Modell und seine Beschreibung verwenden will, genau dies: Beeinflussung unserer Gesellschaft zu unserem Nachteil !
Übersetzen wir mal die genannten Wörter:
Mehr Informationsgewinnung und Analyse als Schlüsselfähigkeit = Überwachungsstaat und dauerhafte Bespitzelung der Bevölkerung
Der Ausbau spezialisierter Cyber- und Intelligence-Einheiten = Stasi 2.0 (ich überspitze absichtlich)
Aufbau spezialisierter Einsatzkräfte die auch zur physischen Kriegsführung befähigt sind und feindliche Aktivitäten proaktiv kontern = Polizeistaat, Geheimpolizei und paramiliärische Geheimdiensteinheiten außerhalb jeder Kontrolle und außerhalb jeden Rechts.
(und sollten sie diesem doch unterworfen sein, so würden sie noch mehr nur der eigenen Bevölkerung schaden, weil sie dann unfähig wären dem Feind zu schaden und sich ihr ganzes Wirken nur gegen die eigenen Bürger richtet)
Schutz kritischer Infrastruktur etc. durch Maßnahmen der Bundeswehr = Einsatz des Militäs im Inneren und dies im Frieden
(welchen es aber gemäß diesem Modell gar nicht mehr gibt, weil das Modell praktisch keinen militärischen Horizont mehr auf der Skala der Möglichkeiten menschlicher Konflikte aufweist)
Förderung von Medienkompetenz und psychologischer Widerstandskraft eigener Mitarbeiter = Zensur und Manipulation
Kooperation der Bundeswehr mit zivilen Medien = Einfluss des Militärs auf die Medien durch Propaganda
Enge Zusammenarbeit von Militär und zivilen Institutionen = Militärstaat
usw.
Ich übertreibe absichtlich in extremer Weise und mir ist schon klar, dass der Autor dies so gar nicht meint. Aber genau dass ist die Gefahr, wohin solche bloßen passiven Reaktionen auf feindliche Nicht-Kriegsführung hin führen, und genau dass ist es, wohin der Feind uns bringen will.
Selbst wenn man dieses Modell also für die Interpretation des Geschehenden her nehmen möchte, so ist die zwingende Schlußfolgerungen daraus, dass die genannten Möglichkeiten scheinbarer Reaktion in Wahrheit nichts anderes sind als ein Schaden für die Bürger, für die Gesellschaft und schlussendlich für das Land. Damit tun wir also dann genau das, was der Feind mit seinen Handlungen erreichen will.
Gerade eben deshalb ist der rein passive, defensive, nur reagierende Ansatz so hochproblematisch.
Und er beruht auf falschen Annahmen, deren fälscheste es ist, den militärischen Horizont auf der Skala der Formen wie menschliche Konflikte (nicht Kriege, sondern Konflikte im allgemeinen) geführt werden, zu weit in Richtung des absoluten Nichtkonfliktes zu verschieben, womit schlussendlich alles zum Krieg wird, auf das mit Krieg geantwortet wird.
Genau das aber ist es, was der Feind will, weil es seine Sichtweise ist, die er uns zu unserem Nachteil aufzwingen will.
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