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- Turin - 07.09.2006

<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.fas.org/sgp/crs/row/RL33627.pdf#search=%22Afghanistan%22">http://www.fas.org/sgp/crs/row/RL33627. ... anistan%22</a><!-- m -->
(PDF-Dokument)

Zitat:CRS Report for Congress

NATO in Afghanistan: A Test of the Transatlantic Alliance

The mission of the North Atlantic Treaty Organization (NATO) in Afghanistan
is seen as a test of the alliance’s political will and military capabilities. The allies are
seeking to create a “new” NATO, able to go beyond the European theater and combat
new threats such as terrorism and the proliferation of weapons of mass destruction.
Afghanistan is NATO’s first “out-of-area” mission beyond Europe. The purpose of
the mission is the stabilization and reconstruction of Afghanistan. The mission is a
difficult one because it must take place while combat operations against Taliban
insurgents continue. ...
Ziemlich lesenswert bezüglich des aktuellen Status' der NATO-Aktivitäten in Afghanistan. Informativ besonders ab S. 14, wo die einzelnen Bündnispartner abgehandelt werden. Deutschland kassiert insgesamt eine eher negative Bewertung, Frankreich bekommt viel Lob.
Außerdem wird auf die sehr wackelige innenpolitische Situation verwiesen und darauf, dass Karzai scheinbar zunehmend an Rückhalt in der Bevölkerung verliert. Trendwende nicht abzusehen.


- bastian - 07.09.2006

Deutschland kassiert eine ziemlich miese Bewertung, aber ist es wirklich so, dass unsere Soldaten nur ihre Camps bewachen und selten auf PAtrouille gehen? Bei Fernsehberichten sieht das anders aus, kann aber auch sein, dass die Journalisten auf den wöchentlichen Ausflug mitgeschickt werden.
Die Kritik an den Deutschen ist jedenfalls harsch.


- Turin - 07.09.2006

Na ja, sie gehen schon auf Patrouille laut Bericht, aber halt nur in engen Grenzen, siehe die Bemerkung "do not go on extented patrols". Klingt nach "schnell ne Runde um den Block und dann nichts wie nach Hause". Gravierend fand ich auch die Bemerkung "reagieren nicht auf Sicherheitsprobleme /-zwischenfälle". Das alles deckt sich ungefähr mit dem Verhalten, wie es zuletzt (einige Monate her) kritisch aus dem Kosovo gemeldet wurde.

Alles in allem nicht schön. Mag auch mit den deutlich unterschiedlichen Wahrnehmungen des Einsatzes zu tun haben. Die USA sehen das ganze als "active approach", auch Wahrnehmung von Polizeifunktionen, Ausstrahlung von Sicherheit. Die Deutschen mehr als "wir haben unser Wiederaufbauteam und die Soldaten sind nur zu dessen Schutz da". Allerdings passt dazu nicht die Übernahme der Verantwortung für den gesamten Norden des Landes. Was soll man da schließlich anderes verantworten als das, was die Amerikaner kritisieren?!


- hawkeye87 - 07.09.2006

Zitat:Turin postete
Gravierend fand ich auch die Bemerkung "reagieren nicht auf Sicherheitsprobleme /-zwischenfälle". Das alles deckt sich ungefähr mit dem Verhalten, wie es zuletzt (einige Monate her) kritisch aus dem Kosovo gemeldet wurde.
das deckt sich auch mit einem bericht des spiegel zu afghanistan. darin wurde geschildert, dass die deutschen soldaten schon tage vor einem anschlag die vorbereitung daraufhin bemerkt hatten, aber nicht eingreifen durften bzw konnten.
ich denke dieses problem resultiert aus zwei defiziten: erstens das bundestagsmandat, das den afghanistan einsatz nicht als kampfeinsatz definiert sowie (darin eingeschlossen) politische vorbehalte gegen mögliche kampfeinsätze und zweitens die fehlende ausrüstung der bundeswehr für solche operationen, was wiederum eine folge der schlechten finanziellen ausstattung ist.


- BigLinus - 08.09.2006

Zitat:Taliban-Angriffe überraschen Nato-Truppe

Der Nato-Oberbefehlshaber für Europa, General James Jones, hat die Bündnismitglieder zur Entsendung weiterer Truppen in den Süden Afghanistans aufgerufen. Die Streitkräfte seien von der Intensität der Taliban-Attacken überrascht worden.


Die kommenden Wochen könnten für den Kampf gegen die Taliban entscheidend sein, sagte Jones in der belgischen Stadt Casteau. Bei einem Treffen mit den Spitzengenerälen der 26 Nato-Staaten am Freitag und Samstag in Warschau werde er sich um Zusagen für mehrere hundert weitere Soldaten, Transportflugzeuge und Hubschrauber bemühen.

Die Schutztruppe Isaf sei nach der Erweiterung ihrer Mission auf den Süden des Landes im Juli vom Ausmaß der Taliban-Angriffe überrascht worden, sagte Jones. Er sei aber überzeugt davon, dass die Soldaten den Kampf gewinnen könnten. Eine Verstärkung der Truppe werde dabei helfen, die Verluste zu reduzieren und den Einsatz "in kurzer Zeit zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen". Er wolle die Taliban-Kämpfer jetzt schlagen, bevor sie sich über den Winter wieder in die Berge zurückzögen.

(...)
Quelle: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.ftd.de/politik/international/111113.html">http://www.ftd.de/politik/international/111113.html</a><!-- m -->

Zitat:Regierung will Religionspolizei wiederbeleben - Rückkehr der afghanischen Sittenwächter?

Unter den Taliban war die "Behörde für die Pflege der guten Sitten und die Verhütung von Lastern" weltweit berüchtigt. Sie prügelte und folterte. Als Anlass genügte ein zu kurzer Bart. Nach dem Sturz der Taliban vor fünf Jahren verlor die Behörde an Bedeutung. Nun soll sie wiederbelebt werden.


Von Christoph Heinzle, ARD-Hörfunkstudio Südasien

Vor den Moscheen und auf den Straßen Kabuls wird über den Vorstoß der Regierung Karsai heiß diskutiert. Der afghanische Präsident will die "Abteilung für die Pflege der guten Sitten und Verhütung von Laster” wiederbeleben. Unter den Taliban war die so genannte Religionspolizei berüchtigt. Sie verprügelte Männer mit zu kurzen Bärten, bestrafte unverschleierte Frauen, ließ Dieben die Hand abhacken und Ehebrecherinnen steinigen.

(...)
Quelle: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5886752_REF3_NAV_BAB,00.html">http://www.tagesschau.de/aktuell/meldun ... AB,00.html</a><!-- m -->


- Schneemann - 08.09.2006

Schwerer Bombenanschlag auf die amerikanische Botschaft in Kabul. 18 Personen sterben, darunter 2 US-Soldaten.

CNN-Meldung:
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.cnn.com/2006/WORLD/asiapcf/09/08/afghanistan.blast/index.html">http://www.cnn.com/2006/WORLD/asiapcf/0 ... index.html</a><!-- m -->

Hoffen wir mal, dass sich die "südafghanische Lage" nicht nach Norden ausbreitet. Innerhalb von 38 Tagen starben im Süden des Landes immerhin 35 Koalitionssoldaten.

Schneemann.


- Turin - 08.09.2006

Zitat:erstens das bundestagsmandat, das den afghanistan einsatz nicht als kampfeinsatz definiert sowie (darin eingeschlossen) politische vorbehalte gegen mögliche kampfeinsätze und zweitens die fehlende ausrüstung der bundeswehr für solche operationen, was wiederum eine folge der schlechten finanziellen ausstattung ist.
Die Holländer haben ja schon gewisse Konsequenzen gezogen, siehe:
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.strategypage.com/gallery/articles/military_photos_200697231223.asp">http://www.strategypage.com/gallery/art ... 231223.asp</a><!-- m -->


- Shahab3 - 08.09.2006

Die Gefährlichkeit in Afghanistan in vor allem diejenige, dass das alles sehr schnell kommen kann, bis die Lage ausser Kontrolle gerät. Das Schicksal der Koalitrionstruppen hängt an den Warlords. Solange diese ruhig bleiben, stören die Taliban wohl eher geringfügig. 35 Tote Soldaten in 38 Tagen finde ich für einen Kriegseinsatz (und das ist eben nunmal einer!) relativ vertretbar. Das sind eher Nadelstiche, im Vergleich zu dem, was die Russen damals erlebt haben.


- Ingenieur - 09.09.2006

Das war auch im Rahmen dieser neuen Offensive ("Medusa" o.ä.), oder?
Der Absturz einer UK-Militärmaschine war auch dabei...


- Shahab3 - 09.09.2006

<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.atimes.com/atimes/South_Asia/HI08Df02.html">http://www.atimes.com/atimes/South_Asia/HI08Df02.html</a><!-- m -->
Zitat:'Taliban taking over'
By Sanjay Suri

LONDON - The Taliban have regained control over the southern half of Afghanistan and their front line is advancing daily, a group closely monitoring the Afghan situation said in a report this week.

The report on the reconstruction of Afghanistan marking the fifth anniversary of the September 11, 2001, attacks on the US is based on extensive field research in the critical provinces of Helmand, Kandahar, Herat and Nangarhar.

"The Taliban front line now cuts halfway through the country, encompassing all of the southern provinces," says a report by the

Senlis Council, an international policy think-tank with offices in Kabul, London, Paris and Brussels.
...
Sollte ich mich irren und die Taliban sind doch wieder stärker als gedacht?! Rolleyes


- bastian - 09.09.2006

Sieht wohl so aus, Shahab, die NATO hat auch nur 80% der Streitkräfte im Einsatz, die sie für erforderlich hält.
Zur sich verschärfenden Lage in Afghanistan;
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E16D642DB2EBE4D69B2CE584E3BA72DCB~ATpl~Ecommon~Scontent.html">http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437 ... ntent.html</a><!-- m -->

Zitat:Anschläge in Afghanistan
Bundeswehr entsendet „gepanzerte Reserve
Sollen aber "nur" Marder und keine Leos sein.


- hawkeye87 - 09.09.2006

naja leopard wären meiner meinung auch ein bisschen überdimensioniert. obwohl ich die verlegung von radpanzern - notfalls im rahmen des einsatzbedingten sofortbedarfs beschafft - bevorzugt hätte, da sie auf grund ihres fahrwerks gegen die in afghanistan eingesetzten minen und sprengfallen besser geschützt wären.
die aufrüstung zumindest einiger fahrzeuge mit neuen 30mm türmen (oder auch schwerer bewaffnung, beispielsweise mit 120mm kanonen) zur feuerunterstützung oder mörsern (120mm amos) wäre bestimmt auch kein fehler.


- Erich - 09.09.2006

Zitat:Shahab3 postete
unter Bezug auf....
Zitat:Wir könnten die Aufgaben der Bundeswehr ja unserem NATO-Partner Türkei übertragen, die Türken haben zu den Usbeken im Norden doch eh einen besseren Draht als wir ...
Davon würde ich eher die Finger lassen, wenn es darum den derzeitigen relativen Frieden innerhalb der afghanischen Gruppierung zu erhalten. Zuersteinmal ist das türkisch-usbekische Verhältnis seit Jahren ziemlich durchwachsen und regelmässigen diplomatischen Verstimmungen geprägt. Ausserdem hat man den Türken früher Kontakte zu General Dostum nachgesagt, der wohl als einer der brutalsten und kriminellsten Warlords in Afghanistan betrachtet werden kann. Würde die Türkei im Norden eine starke Rolle übernehmen, würde das den Pashtunen mit Sicherheit überhaupt nicht gefallen. Dann hätten wir neben dem relativ harmlosen Talibanproblem, evtl ein wiederaufflammen alter Konflikte, die das Land im schlimsten Falle wieder an den Rand eines Bürgerkrieges bringen könnte. Da muss man schon sehr genau aufpassen, an welchem Schräubchen man wie dreht. Rolleyes Und diesbezüglich würde ich das derzeitige beschränkte Engagement der Türken schon als beachtliches Wagnis ansehen.
die Bedenken und Befürchtungen teile ich auch - ich denke aber, dass das "eher harmlose" :frag: Taliban-Problem bereits Teil eines ethnischen Konflikts in Afghanistan ist. Die Taliban haben ihre Heimat bei den Paschtunen, die sich im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan praktisch Autonomie ertrotzt haben - auch gegen das pakistanische Militär - und den Süden Afghanistans dominieren.
Ich zweifle daran, ob es langfristig gelingen wird, die Taliban zurück zu drängen ohne die Herrschaftsstrukturen der Paschtunen zu zerstören. Und wenn das so ist - dann muss klar sein, dass wir uns mit zusätzlichem militärischen Engagement nur weiter in einen Konflikt ziehen lassen, der inzwischen als regionale ethnische Auseinandersetzung verstanden werden muss.
Es geht nicht mehr um Al Quaida und den US-Kampf "gegen den Terror". Bin Laden ist - auch dank des mit Lügen begründeten Einmarsches im Irak - zu einer Randfigur geworden. Es geht in Afghanistan inzwischen letztendlich darum, welche Volksgruppe über die anderen Ethnien dominieren wird. Die Taliban werden immer stärker - weil sie sich gegen die Dominanz über die Paschtunen stellen, zunächst gegen die Russen (mit saudischer und US-Unterstützung), jetzt gegen die USA und die mit den USA kooperierenden Volkgsgruppen.

Und ich bin mir nicht sicher :rofl: ob es nicht vielleicht langfristig ruhiger wäre, den Vielvölkerstaat Afghanistan - der ja das Ergebnis einer unnatürlichen Grenzziehung durch die Kolonialherren ist, indem jetzt die unterschiedlichen Ethnien wie in einem Dampfkessel unter Druck zusammen gepfercht sind - in relativ selbstständige, halbautonome Regionen aufzuteilen, in denen die jeweiligen Völker zumindest kulturelle und sichrheitspolitische Hoheitsbefugnisse haben (auch in Deuschland sind z.B. "Kultus" und Polizei ja Ländersache).
Da, glaube ich, könnten türkische Sicherheitskräfte mit einer usbekischen und turkmenischen Bevölkerung eher zusammen arbeiten. Und ich vermute, dass Imame, die in den türkischen Hochschulen ausgebildet wurden, bei den Turkmenen und Usbeken die beste ideologische Waffe gegen einen Steinzeitislam sind, wie er von den Koran-Schulen in Pakistan verbreitet wird.
Kabul würde als "Bundeshauptstadt" sozusagen eigenständige, "neutrale" Zone (ähnlich iwe Paris ja früher direkt dem Staatspräsidenten unterstand).
Ich sehe da immer wieder auch Vergleichbarkeiten zum Irak, wo wir drei Bevölkerungsteile haben, die schwer zu harmonisieren sind.
Natürlich muss man dann auch eines sehen: der iranische Einfluss würde durch eine solche Regionalisierung bei den Farsiwan, Belutschen und Tadjiken kräftig steigen - und den Paschtunen eine Gratwanderung zwischen Iran und Pakistan erlauben. Aber letztendlich bin ich sicher: in der ideologischen Diskussion zwischen den theologisch hoch gebildeten Schiiten aus dem Iran und den Steinzeit-Koranschulen aus Pakistan (die Schiiten werden von den Taliban nicht sehr freundschaftlich betrachtet) würden die gebildeteren Schiiten den Steinzeit-Ideologen die "theologischen Argumente" abgraben und damit zumindest zu einer Entmilitarisierung und damit zur Stabilisierung beitragen.

Mit anderen Worten:
ich bin durchaus am Überlegen, ob Teheran und seine Bildungsbürger nicht auch mehr Einfluss im Zentrum Afghanistans haben sollten, und ob die Stationierung von westlichen Truppen - allen voran die USA - nicht diesen Einfluss verhindert, damit aber gleichzeitig die Taliban (als einzige Opposition, die sich im Widerstand gegen die westlichen Truppen aufbauen kann wie einst die Hisbollah im Südlibanon) gestärkt werden.
Teheran wird mit seinen Agenten ohnehin bereits in Afghanistan vertreten sein, und der Streit um Einfluss zwischen Iran und den Paschtunen ist fst unausweichlich - warum nicht diese "Infiltration" kontrolliert ablaufen lassen, bevor der Dampfkessel explodiert?
Die Iraner sind mir jedenfalls - trotz der Fragen um die Atomwaffen - irgendwie weniger suspekt als die Taliban, und letztendlich stellt sich die Frage, von wo objektiv die größte Bedrohung ausgeht.
Eine von den Paschtunen geduldete Al Quaida, die sich in deren Schutz wieder entwickeln und enfalten kann, halte ich da für gefährlicher als einen gerüsteten iranischen Staat.


- Shahab3 - 09.09.2006

@Erich

Deine Idee kommt den iranischen Interessen vermutlich sehr entgegen. Das alleine dürfte wohl schon Ausschlusskriterium für eine vom Westen getragene, stärkere Zusammenarbeit sein. Auch würde ich an der Stelle warnend anmerken, dass die Iraner mit Hekhmatyar ein bedenklich heisses Eisen im Feuer haben/hatten. Jemand dem steigende Macht durchaus mal zu Kopfe steigen kann. Jedoch hat man in der Afghanistanfrage von Anfang an eine überaus kooperative Haltung angenommen. Die Kooperation der Nordallianz im Afghanistankrieg war nicht zuletzt von der Absegnung Teherans abhängig.
Auch Hekhmatyar scheint (zumindest öffentlich) in Ungnade gefallen zu sein.
Die Büros seiner Exilorganisation/Partei im Iran mussten geschlossen werden, seinen Parteigenossen wurde die zwanghafte Rückführung angedroht. Scheinbar hatte seine Einflussnahme auf der iranischen Seite der Grenze für Teheran Überhand genommen. Gastfreundschaft ist auch überreizbar. Zudem wurde Hekhmatyar öffentlich gewarnt, in Afghanistan destabilisierend gegen die kabuler Zentralregierung zu wirken.
Mittelfristig dürften die Treuebekundingen gegenüber Kabul wohl auch nur Lippenbekenntnisse sein, wenn man grundlegend vor die Aussicht gestellt wird, dass sich in Kabul ein US-gestütztes Marionettenregime entwickeln sollte.

Grundlegend ist die Stabilität an der Ostgrenze und eine vom Westen geführte Eindämmung der Taliban voll im Interesse Irans.
Dennoch ist die Sache ein zweischneidiges Schwert für beide Seiten (also den Westen und Iran). Niemand gönnt dem anderen eine Zunahme an Einfluss dort. Auch die Iraner versuchen weiterhin dort (ähnlich wie im Irak) doppeltes Spiel zu treiben. Zum einen unterstützen sie die Zentralregierung wirtschaftlich und medial/öffentlich, aber zum anderen versuchen sie weiter Einfluss auf ihnen nahe stehende Gruppen zu nehmen. Derzeit stellt der status quo in Afghanistan wohl das vermeintlich kleinere Übel für Teheran dar. Daher scheint stillschweigende Kooperation derzeit auch sinnvoll. Die wirtschaftlichen Interessen auf beiden Seiten, ergänzen sich übrigens auch wunderbar. Sowohl der Westen/USA als auch der Iran brauchen ein stabiles Afghanistan für sichere Pipeline-Routen bzw Warentransit. Ein florierender Osthandel würde dem unterentwickelten Osten Irans Aufschwung verleihen.
Dennoch...und das ist der Knackpunkt...mittelfristig will man sich gegenseitig aus Afghanistan verbannt sehen. Egal wie sehr man sich gemeinsam postitiv für das Land engagieren könnte. Eine ganz grundlegende diplomatische Annäherung, die überhaupt für eine ganze Reihe von regionalen Problemen so wichtig wäre, sehe da bis jetzt und in absehbarer Zeit nicht.

Die von Dir vorgeschlagene Balkanisierung Afghanistans ist ein gewagter und wohl auch garnicht gangbarer Weg. Nach der Bonner Afghanistankonferenz gibts da kein Zurückrudern mehr. Die gesamte Glaubwürdigkeit der internationalen Interventions/Friedenspolitik wäre in Frage gestellt. Ausserdem sehe ich es noch nicht mal als erwiesen an, dass die Sicherheitslage dann insgesamt besser aussehen würde. Vermutlich würde es nur wenige Warlords interessieren, wie sein Machtbereich auf der Landkarte ausschaut. Rolleyes


- Erich - 09.09.2006

Zitat:Shahab3 postete
@Erich

Deine Idee kommt den iranischen Interessen vermutlich sehr entgegen. Das alleine dürfte wohl schon Ausschlusskriterium für eine vom Westen getragene, stärkere Zusammenarbeit sein. .....

Die von Dir vorgeschlagene Balkanisierung Afghanistans ist ein gewagter und wohl auch garnicht gangbarer Weg. Nach der Bonner Afghanistankonferenz gibts da kein Zurückrudern mehr. Die gesamte Glaubwürdigkeit der internationalen Interventions/Friedenspolitik wäre in Frage gestellt. Ausserdem sehe ich es noch nicht mal als erwiesen an, dass die Sicherheitslage dann insgesamt besser aussehen würde. Vermutlich würde es nur wenige Warlords interessieren, wie sein Machtbereich auf der Landkarte ausschaut. Rolleyes
gewagt - ja, aber "garnicht gangbar"?

Ich bin überzeugt, dass diese - ich sage betont Regionalisierung - sehr viel eher zwangsläufig kommt als jede andere Lösung. Der "Kampf um die Macht" ist ein Kampf um die Menschen, und der wird "in den Köpfen" der Menschen entschieden. Da aber gibt es die unterschiedlichsten Einflüsse.

Der "afghanische Nationalstaat" ist eine Schimäre.

Im Süden - bei den Paschtunen - haben die pakistanischen Koranschulen zur Entstehung der Taliban beigetragen, ursprünglich (?) finanziert von Saudis, die damit der Ausbreitung der rigiden wahabitsichen Lehre Vorschub geleistet haben.

Im Norden - bei den Usbeken und Turkmenen - haben die Nachbarstaaten schon immer (Dostum!) entscheidend mitgemischt. Die ISAF - am Beispiel der Bundeswehr in Faizabad, Kundus und Mazar-i-Sharif deutlich - zieht sich aus den "unsicheren Städten" in entfernte Lager und Unterkünfte abseits zurück und überlässt die Städte den einheimischen Kräften. Dort aber gewinnen - mit der Revitalisierung von Buchara, Samarkand und den anderen alten theologischen Stätten - die in der Türkei ausgebildeten Imame, die die Sprache am Ort beherrschen, immer mehr an Einfluss.

Die Mitte und der Osten Afghanistans werden von iranischen Völkern bewohnt, von den Farsi bis zu den Tadschiken sind das vielfach Menschen, die die persischen Kultur, insbesondere die Dichtung und Literatur noch sehr schätzen. Das ist der Ansatzpunkt, der den Iranern gerade im Gegenspiel zu den Paschtunen eine enorme Anziehungskraft verleiht.

Sobald die "Klammer der ISAF" wegfällt - davon bin ich überzeugt - wird es keiner afghanischen Zentralregierung mehr gelingen, über den Norden und den Süden des Landes gegen die örtlichen Stämme zu herrschen.
Die konsequente Frage ist dann:
- wie lange sollen die ISAF-Truppen bleiben, um eine zwangsläufige Entwicklung zu blockieren (und damit eine gewaltsame Erruption zu riskieren)
- oder ist es nicht sinnvoller, einen zwangsläufigen Prozess so zu moderieren, dass er unmerklich und vor allem friedlich abläuft - nach dem Motto "so viel Autonomie wie nötig, so wenig Bürgerkrieg wie möglich" ?

Ich gebe Dir aber in einem Recht: unter den derzeitigen Bedingungen wird die US-Regierung nicht bereit sein, den Einfluss einer iranischen Regierung in Afghanistan zu stärken.
Aber genauso wie der Schah inzwischen Geschichte ist, wird auch die derzeitige Konstellation nicht ewig vorherrschen. Schon in Folge der nächsten US-Wahl kann sich eine Änderung ergeben, etwa dahingehend, die "Boys" aus den islamischen Ländern "heim zu holen". Dann stellt sich die Frage, ob ein Konzept für den Rückzug vorliegt - und ein solches Konzept muss die Nachbarstaaten und deren Interessen mit einbeziehen.
Das kann nur in der Anerkennung des Iran als "Regionalmacht" und damit als Gegenpart zu den Paschtunen sinnvoll sein.
Ich sags mal provokant: wären wir noch in der Zeit des Schahs würde das ganze ganz anders aussehen, da stünden persische Truppen im Kampf gegen die Taliban an vorderster Stelle.
Und ich bin auch überzeugt - der Iran arbeitet heimlich still und leise bereits intensiv daran, Einfluss auf die Bevölkerung Afghanistans zu gewinnen.