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- BigLinus - 30.05.2006

Bei einem Luftangriff der US-Truppen in der afghanischen Provinz Helmand sollen nach afghanischen Angaben am Sonntag auf Montag mindestens 50 Kämpfer der radikal-islamischen Taliban getötet worden sein.

Die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok meldete unter Berufung auf die Provinzregierung, daß unter den Toten auch einige Anführer der Rebellen seien. Von US-Seite gab es hierzu bisher keine Bestätigung.

Quelle: Tagesschau


- hawkeye87 - 30.05.2006

zu den aktuellen ereignissen ein bericht des heute journals von gestern inklusive eines interviews mit brigadegeneral munzlinger, kommandeur des deutschen kontingents in afghanistan und ein artikel aus dem wiesbadener kurier:
Zitat:Funke bringt Pulverfass zur Explosion
Alltäglicher Verkehrsunfall löst schwere Unruhe in der afghanischen Hauptstadt aus

Ein von einem amerikanischen Militärfahrzeug ausgelöster Verkehrsunfall hat gestern in der afghanischen Hauptstadt Kabul schwere Unruhen ausgelöst. Der in breiten Bevölkerungsschichten tief sitzende Hass gegen die Besatzer brach sich unvermittelt Bahn. [...]
ob es sinnvoll ist, sich wie von general munzlinger berichtet angesichts des volkszorns in die feldlager zurückzuziehen anstatt stärke zu demonstrieren?

ein weiterer artikel zur lage in afghanistan unabhängig von den derzeitigen unruhen aus der weltwoche:
Zitat:Entscheidung in Afghanistan
Die Taliban sind zurück. Wer sie besiegen will, braucht militärische Schlagkraft und politische Entschlossenheit. Den Europäern fehlt beides.
Es ist wie jedes Jahr zur Frühlingszeit. Wenn in Afghanistan der Schnee schmilzt, steigen bewaffnete Männer im schwarzen Turban die Hänge herunter und bringen Tod und Zerstörung in Dörfer und Städte. Wie eine hartnäckige Grippe suchen die Taliban Teile des Landes heim und schwächen es. Heuer ist die Angriffslust der Gotteskrieger besonders gross. Bei den schwersten Kämpfen seit dem Fall ihres Steinzeitregimes im Herbst 2001 starben letzte Woche im Süden und Osten Afghanistans gegen 200 Menschen. [...]



- Schneemann - 30.05.2006

Ich denke, es war schon richtig, die deutschen Soldaten auf das Camp "Warehouse" zurückzuziehen. Sie hätten ohnehin bei diesen Ausschreitungen nicht viel machen können, außer Präsenz zu zeigen. Das hätte die Lage eher wohl noch verschlimmert, weil dieser aufgeheizte Mob wohl kaum zwischen US-Armee, afghanischen Sicherheitskräften und Bundeswehr unterschieden hätte. Der hätte auf alles Flaschen, Steine und Brandsätze geschmissen, was halbwegs nach westlichem oder regierungstreuem Soldaten aussieht.

Schneemann.


- Wolf - 30.05.2006

Zitat:hawkeye87 posteteob es sinnvoll ist, sich wie von general munzlinger berichtet angesichts des volkszorns in die feldlager zurückzuziehen anstatt stärke zu demonstrieren?
Ist bei der südländischen Mentalität schwer zu sagen. Zunächst sollte man sich immer erst zurückhalten, denn im Grossteil der Fälle kühlen sich die Gemüter schnell wieder ab - wenn sie nicht durch Provokationen angeheitzt werden. Verschlimmert es sich, sollten die örtlichen Sicherheitskräfte versuchen die Scharfmacher aus dem Verkehr zu ziehen. Erst wenn das alles nichts nutzt sollte man Stärke demonstrieren. Würden die gleichen Emotionen in diesem Ausmass aber offen in D ausbrechen müsste die Taktik ganz anders aussehen.


- Turin - 31.05.2006

<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,419065,00.html">http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 65,00.html</a><!-- m -->


Zitat:BUNDESWEHR IN AFGHANISTAN

Kritiker beklagen mangelndes Konzept

Täglich neue Horrormeldungen aus Afghanistan: Heute schlugen Taliban-Verbände Polizei-Einheiten in die Flucht. Auch für die Internationale Schutztruppe ist die Lage bedrohlich - und morgen soll die Bundeswehr das Kommando im Norden übernehmen. In Berlin wächst die Kritik an dem Einsatz. ...
Ich schätze, wenn beim Planungsstab für Afghanistan ein Personenkreis vergessen wurde, waren es Historiker.


- Schneemann - 31.05.2006

Oder es hätte zumindest mal jemand die Bücher des Nahost-Experten Peter Scholl-Latour näher und ernsthafter lesen sollen.

Da steht fast in jedem seiner Bücher etwas darüber, dass die Deutschen gut beraten wären, aus Afghanistan abzuziehen. In seinem Buch "Kampf dem Terror! - Kampf dem Islam?" sind einige sehr interessante Beschreibungen über die Lage in Afghanistan dabei und er warnt eigentlich fast nur vor diesem "Pulverfass", in das die - so seine Aussage - geostrategisch überforderte ehemalige rot-grüne Regierung, die kaum Kenntnisse der Lage vor Ort hatte und die sich selbst aus "kriegsunerfahrenen" Wehrdienstverweigerern und durch die politischen Ereignisse von 1968 und der Friedensbewegung geprägten Politikern zusammensetzte, kurzsichtig die deutschen Soldaten geschickt hat.

Sicherlich kann man einiges auch als "Kassandra-Rufe" einstufen, aber manches hat wohl einen sehr wahren Kern. So bemängelt er auch die fehlenden Planungen für den Fall einer Eskalation. Die Deutschen, so Scholl-Latour, müssen hoffen, dass sie von US-Hubschraubern evakuiert werden. Und bislang sind immerhin auch 18 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan gestorben - die zweithöchsten Verluste nach den Amerikanern, die bislang rund 300 Soldaten eingebüßt haben.

Und wenn die Deutschen jetzt im Norden des Landes verstärkt aktiv werden (übrigens mit das größte Drogen-Anbaugebiet der Region), dann wird die Lage sicherlich nicht ruhiger.

Ich blicke mit Sorge in die Zukunft...

Schneemann.


- ThomasWach - 31.05.2006

Und was ist die Alternative?
Sollen wir uns zurückziehen und weiter zuschauen, wie das Land wieder im Chaos versinkt, nachdem wir die Taliban zerschlagen haben? ich erinnere ungern daran, aber der große Fehler der USA war nicht, dass sie die Mudschahedin unterstützt haben, sondern dass sie nach Abzug der Sowjets das Land sich selbst überlassen haben und nur noch mit geringen Kräften Interessenpolitik betrieben haben. Wir wissen doch alle, dass zeitweilig die Taliban hofiert wurden.

Ich denke, dass du mit der falschen Einstellung an die Dinge rangehst Schneemann. Sozailes ist immer überkomplex und optimale Lösungen gehören in das Reich utopischer Gesellschaftsvorstellungen.
Afghanistan ist und bleibt ein heißes Eisen und wie man dort vorgehen könnte, darüber haben sich beispielsweise in idem Thread schon Shahab und ich sich bis aufs Blut gefetzt. Klare Konzepte, auf Erfolg getrimmte Konzepte kannst du gar nicht im Vorhinein präsentiern bei einer solch fragilen Lage wie in Afghanistan. Wichtig ist, dass du vor Ort bist und schnell reagieren kannst. Nun kann man sicher darüber streiten, inwieweit die Mittel da sind, die man braucht. Aber ich würde Afghanistan nur ungern aufgegeben sehen. Nicht nur wegen den Menschen dort. Ein wieder islamistisches Regime hätte seine Auswirkung auf Zentralasien, und was noch schlimmer wäre, auf Pakistan.


- Schneemann - 31.05.2006

Sagen wir es mal so: Ich würde Afghanistan auch nicht gerne "aufgegeben" sehen. Ich würde mir eigentlich wünschen, dass die Befriedung und der Wiederaufbau einigermaßen normal vonstatten gehen und danach sich ein prosperierendes und zumindest halbwegs demokratisches Land entwickelt (eine Demokratie im westlichen Sinne halte ich für nicht möglich). Nur muss ich auch sagen, dass ich a) weiß, dass dieser Wunsch von mir wohl nie in die Tat umgesetzt werden wird, und ich b) im Grunde auch keine Patentlösung anbieten kann.

Solange Pakistan und sein Geheimdienst ISI immer noch unter der Hand die Finger drinhaben und es die Pakistanis nicht schaffen, ihre Grenzprovinzen zu Afghanistan auszufegen - entgegen derzeitiger Behauptungen und Beteuerungen - , dürfte sich eh nicht viel ändern. Und auch wenn Hamid Karzai vielleicht nur eine wohlwollende Marionette ist - ohne die westliche Stütze und seine US-Leibwächter wäre er wohl schon tot - , so ist er dennoch besser als eine Rückkehr der "Steinzeit"-Islamisten der Taliban und ihrer Willkürherrschaft.

Auch bin ich mir der Tatsache bewusst, dass ein Rückzug der westlichen Allianz aus Afghanistan wohl schwerwiegendere Folgen auf die dortige Region haben wird als wenn die NATO-Truppen verweilen. Nur denke ich, muss man sich eben fragen, ob man hierfür das Leben deutscher Soldaten aufs Spiel setzen sollte. Sicher, wenn ich den Beruf des Soldaten ergreife, so muss ich damit rechnen, dass mich mein Land irgendwo hinschickt, um eben seine Ziele durchzusetzen. Und ich muss auch mit Kampf, Anschlägen, Tod oder Verwundung rechnen. Quasi ist es Teil des Berufsrisikos. Ich will damit nicht sagen, dass ich nicht Soldaten einsetzen würde, um anderen Frieden, Freiheit und Demokratie zu bringen (ich denke, um dieses Ziel durchzusetzen, muss man sogar Soldaten einsetzen, wenn es nicht anders geht), aber ich habe eben meine Zweifel, inwieweit diese Option in Afghanistan überhaupt umsetzbar ist. Und da gehen dann meine Gedanken zu den Truppen (und gerade und auch die Gebirgstruppe kenne ich noch von meiner eigenen Bundeswehr-Zeit ziemlich gut), bzw. ich habe gewisse Bedenken...

Schneemann.


- BigLinus - 01.06.2006

Seit heute 0 Uhr ist es amtlich, die Bundeswehr hat das Kommando über die internationale Schutztruppe ISAF für den Norden Afghanistans übernommen. Zentrum ist die neue Zentralbasis am Flugplatz der Stadt Masar-i-Scharif. Von dort aus wird die Nachschubbasis selbst, eine schnelle internationale Eingreiftruppe und fünf internationale Wiederaufbauteams geführt.


- Erich - 01.06.2006

Zitat:Tiger postete
Könnte diese Entwicklung in Afghanistan darauf hindeuten, das die Taliban unter einem gewissen Druck stehen? Warum nehmen sie ausgerechnet jetzt die Kämpfe in Afghanistan wieder auf...?
nach meinen Informationen sind bis Mai 2006 genausoviel "Zwischenfälle" in Afghanistan passiert wie im ganzen Vorjahr 2005 - und die Problemgebiete sidn nicht mehr nur Afghanistans Süden, sondern die weiten sich aus;
das deutet eher darauf hin, dass die Taliban den Druck erhöhen und sie nicht so sehr selbst unter Druck stehen

Zitat:Schneemann postete
....
Auch bin ich mir der Tatsache bewusst, dass ein Rückzug der westlichen Allianz aus Afghanistan wohl schwerwiegendere Folgen auf die dortige Region haben wird als wenn die NATO-Truppen verweilen. ....
das ist richtig, die Frage ist, wass passiert, wenn die fremden Truppen gehen - ich denke, der Staat Afghanistan wird zerfallen in regional beherrschte Gebiete von Stammesfürsten - ähnlich wie Somalia;
dann dürften die Usbeken und Turkmenen im Norden (so wie heute die Kurden im Irak) unter "nachbarlicher Unterstützung" ein faktisch eigenständiges Gebiet erreichen, das aber nur mit usbekischer bzw. turkmenischer Hilfe überlebensfähig - und dann an Usbekistan bzw. den "Turkmenbaschi" gebunden ist.
Im Süden an der Grenze zu Pakistan werden die Paschtunen und die Taliban wieder die Oberhand gewinnen - und sich mit den zentralafghanischen Stämmen und Völkern, den Belutschen, Farsiwan und Tadschiken um die "Macht im Staate" streiten; da liegt die Chance für den Iran, als lokale Großmacht Einfluss zu gewinnen.
Auch ein Grund, weshalb die Amerikaner schlecht aus Afghanistan abziehen können, wie das vorher schon mal die Russen notgedrungen gemacht haben.


- CommanderR. - 02.06.2006

Nur wird ihnen wie den Russen eines Tages nichts anderes übrig bleiben als abzuziehen, wenn sie nicht wie im Irak jeden Tag Tote und Verwundete beklagen wollen.


- ThomasWach - 02.06.2006

Hinter Afganistan steht aber doch ein ganz anderes Konzept, als hinter dem Irak in Sachen Besatzung. Die Amerikaner sind wie die Russen im Irak verfahren, in Afghanistan dagegen benutzen sie intelligenterweise eine andere Strategie. Hier geht es um indirekte, punktuelle Intervention, um gelenkte indirekte Herrschaft. Im Irak ist es doch ganz anders.

Und ich für meinen Teil sehe das internationale Engagement durchaus als notwendig. Denn wenn der Westen sich nicht einmischen würde, würden das andere noch sehr viel stärker tuen wie Erich richtig hervorhebte.


- BigLinus - 08.06.2006

Die Verteidigungsminister der NATO haben heute in Brüssel - ungeachtet zunehmender Terrorakte - eine Ausweitung des ISAF-Einsatzes auf ganz Afghanistan beschlossen und gleichzeitig den radikal-islamischen Taliban mit einem "robusten und massiven Einsatz" gedroht. Hierzu soll die Zahl der Soldaten von bisher 9.000 auf 25.000 erhöht werden.

Quelle: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.n-tv.de/676365.html">http://www.n-tv.de/676365.html</a><!-- m -->


- hawkeye87 - 08.06.2006

ich wundere mich immer noch, woher die zusätzlichen 16.000 soldaten kommen sollen :misstrauisch: man sollte sich meiner meinung darauf konzentrieren, starke und einsatzfähige sicherheitskräfte aufzustellen - die nicht beim ersten einstaz desertieren oder nach den polizeigesetzen von niedersachsen ausgebildet wurden.
wenn nötig sollte isaf eigene afghanische verbände aufstellen, die nicht der afghanischen ministerium unterstehen sondern dem isaf-kommando - praktisch also kolonialtruppen.


- ThomasWach - 09.06.2006

Zitat:man sollte sich meiner meinung darauf konzentrieren, starke und einsatzfähige sicherheitskräfte aufzustellen - die nicht beim ersten einstaz desertieren oder nach den polizeigesetzen von niedersachsen ausgebildet wurden.
Tja, wenn das mal so einfach wäre Rolleyes.
Ich habe mich in diesem Thread zwar schon fast ins unseriöse hinein mit Shahab gekloppt gehabt um das Thema der politischen Integration der ganzen Ethnien und religiösen Richtungen, aber Fakt ist, dass man heute mit dieser atomisierten politischen Lage rechnen muss. Starke und einsatzfähige Einsatzkräfte bekommst du also schnell nur dann, wenn du dir eine Volksgruppe und ihren Leader angelst, was aber auf andere Gruppen sicher nicht positiv wirken wird. Ist also kaum sinnvoll.
Daher ist die Ausbildung loyaler guter Truppen eben so langwierig und schwierig. Du mußt ihnen nicht nur beibringen, gute Soldaten zu sein, sondern auch dass sie afghanische Soldaten sind. Du mußt ihnen also ihre religiöse und ethnische Zugehörigkeit bzw. die Bande dazu abschwächen, aberziehen in gewisser Weise.

Daher ist der Gedanke der Kolonialtruppen einfach nur abstrus! Um da "loyale Truppen hinzustellen, müßtest du so viel zahlen, um deren "Loyalität zu sichern, da könnte man auch gleich die westlichen Truppen in genügender Ausrüstung finazieren.