Forum-Sicherheitspolitik
(Allgemein) Bundeswehr – quo vadis? - Druckversion

+- Forum-Sicherheitspolitik (https://www.forum-sicherheitspolitik.org)
+-- Forum: Blickpunkt Deutschland (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=54)
+--- Forum: Allgemeines zur Bundeswehr (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=58)
+--- Thema: (Allgemein) Bundeswehr – quo vadis? (/showthread.php?tid=5602)



RE: Bundeswehr – quo vadis? - voyageur - 26.09.2022

Zitat:PRESSEMITTEILUNG DES ARMEEMINISTERIUMS
Paris, den 23. September 2022
Besuch von Armeeminister Sebastien Lecornu in Berlin
Rüstungsminister Sebastien Lecornu reiste am Donnerstag, den 22. September, zu seinem
ersten offiziellen Besuch in Deutschland nach Berlin zu Christine Lambrecht.
...
4. Vorbereitung eines genauen Fortschrittsberichts über die großen gemeinsamen Fähigkeitsprogramme für den deutsch-französischen Ministerrat, der Ende Oktober in Frankreich stattfinden wird. Sebastien Lecornu begrüßt den von der deutschen Seite initiierten Prozess über die Kontrolle von Waffenausfuhren.

5. Ihre Stäbe auffordern, dem deutschen Kanzler und dem Präsident der Republik Frankreichs, Vorschläge zu machen,über die Rolle, die die deutsch-französische Brigade im Rahmen der NATO spielen kann.

eine ganz neue Tonlage

volständiger Text hier


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Broensen - 26.09.2022

(26.09.2022, 06:39)26er schrieb: Die Politik gibt gewisse Ziele vor und sollte auch die politische Verantwortung tragen. Munition hätte man sehr einfach nachbestellen können, wenn man sich bei Großprojekten nicht einig ist, wohin die Reise geht.

Munition hätte man nachbestellen können/müssen. Das hängt sicher einfach in der Bürokratie fest und ist auch keine Aufgabe der Politik.

(26.09.2022, 09:25)26er schrieb: Nur LV/ BV als Vorgabe, ist doch immer noch viel zu grob. Man muss hier vorgeben, in welcher Zeit mit welchen Mitteln was gemacht werden soll. Andere Länder schaffen doch auch klare Vorgabe, mit was sie wo dauerhaft präsent sein müssen/ wollen. Das ist auch Teil der Außenpolitik und die wird nicht bei den Streitkräften gemacht. Daraus wird dann z.B. abgeleitet, ob es leichte, mittlere oder schwere Kräfte sind.

Es gibt die politischen Vorgaben schon weit über "LV/BV" hinaus. Als Beispiel können hier - neben OG Bärs Ausführungen - die diversen "Forward Presence" genannt werden. Und genau daraus ergibt sich ja auch das Dilemma mit den mittleren Kräften. Zur Erfüllung dieser politischen Anforderungen sind die mittleren Brigaden das Mittel der Wahl. Und innerhalb der Bundeswehr ist man sich jetzt uneins, ob man diesen für den Friedensbetrieb bequemen Weg gehen oder ein für das übergeordnete Ziel leistungsfähiger Streitkräfte insgesamt besser geeignetes Konzept verfolgen soll.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Quintus Fabius - 26.09.2022

Es gibt hier meiner Meinung nach das Grundproblem, dass in dieser Bundesrepublik Krieg gerade eben nicht als ein Mittel der Politik verstanden wird und laut absoluter Mehrheit sowie der Auffassung was die Freiheitlich Demokratische Grundordnung sein soll auch nicht verstanden werden darf. Daher kann und wird die Zivile Politik außer wohlfeilen Worthülsen rein gar nichts anschieben.

Das zweite Problem dem folgend ist, dass man meiner Ansicht nach nicht ausreichend zwischen der politisch-strategischen Ebene und der militärisch-strategischen Ebene unterscheidet. Die Politik mag irgendwelche politisch-strategischen Zielsetzungen haben, aber völlig getrennt davon muss die Militärische Führung selbst ausarbeiten und darlegen, was für militärisch-strategische Möglichkeiten vorhanden sind. Hier wird nun in dieser Bundespolitik gemeinhin ein absolutes Primat der Politik über das Militär postuliert. Aber auch das ist nur eine Auffassung der Gegenwartskultur. Tatsächlich gibt es für die praktische Realität dieses Primat nicht, weil die Grenzen der politischen Strategie ihre Grenzen in denen der militärischen Strategie finden. Beide sind also in Wahrheit gleichwertig und bedingen einander.

Dem folgend müsste die Militärische Führung der Bundeswehr darlegen, was real militärisch wie gemacht werden könnte, und erst daraus könnten politisch-strategische Zielsetzungen beschlossen werden. Denn höchst einfach gesagt nützt es rein gar nichts irgendwelche politischen Vorgaben zu machen, wenn die militärische Realität diese nicht abbilden kann. Nicht zu Unrecht warnte Jomini (als letzer größerer Vertreter dieser Denkrichtung) daher in seinen Schriften vor einem Übermaß an Einfluss des Zivilen auf die militärische Strategie. Krieg ist eben nicht die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, auch umgekehrt ist Politik lediglich die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, aber noch darüber hinaus finden beide ihre jeweiligen Grenzen im jeweils anderen.

Irgendwelche vermeintlich klaren Aussagen der Zivilen Politik sind daher mal schlicht und einfach im günstigsten Fall nichtswürdig, unter schlechteren Umständen ein Schaden. Das Militärische Versagen der Bundeswehr ist daher gerade eben kein Verschulden der Zivilen Politik oder deren politisch-strategischer Entscheidungen, gleichgültig ob diese Fehlentscheidungen sind oder nicht. Das alles bestimmende Versagen liegt in der höheren militärischen Führung der Bundeswehr, dem was ich immer mit Generalskaste bezeichne.

Es wäre eigentlich die Pflicht dieser militärischen Führung sehr viel mehr zu leisten, als das was sie zur Zeit tut. Es wäre ihre Pflicht gegenüber dem Vaterland, nicht gegenüber der zivilen Politik, auszubrechen aus den überkommenen tradierten Wegen und mit allen Mitteln ihre Pflicht zu erfüllen. Stattdessen schiebt man vor durch die Bürokratie, die Gesetze, die zivile Politik oder was auch immer gelähmt zu sein und deshalb handlungsunfähig. Das ist aber nur ein Vorschieben, um von dem eigenen erheblichen Versagen abzulenken. Denn gerade eben wäre es die vorderste Aufgabe der höheren militärischen Führung diese Handlungsunfähigkeit mit allen Mitteln zu durchbrechen. Die Zivile Politik wäre so zwingend genau darauf angewiesen. Und ist man dazu nicht fähig oder willens, so hat diese höhere militärische Führung keinerlei Legitimität mehr. Dass sie nicht zurücktritt zeigt allein schon auf welchen Geistes Kind sie in zu großen Anteilen ist. Der Kern des Soldatischen an sich, dass eigene Opfer - ist bei ihr zu weit gegenüber dem eigenen Vorteil zurück getreten!

Das Problem sind die Generale. Solange dies auch von Seiten der zivilen Politik nicht erkannt wird, wird diese Armee weiter darin versagen ihre Pflicht gegenüber dem Vaterlande zu erfüllen.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - 26er - 26.09.2022

(26.09.2022, 10:18)OG Bär schrieb: @26er

Welche Vorgaben meinst du. Auf der letzen Bundeswehrtagung gab es doch klare Aussagen der Politik,

- Jeden Quadratmeter des Bündnisses verteidigen können
- Kaltstartfähigkeit
- Landes- und Bündnisverteidigung first, alles andere hat sich dem Unterzuordnen
- mehr Verantwortugn in der NATO übernehmen
.....

Eine klare Planung kann man darauf eher schlecht aufsetzten. Für dient das eher dazu, die kleineren Länder zu beruhigen, dass D im Falle eines Krieges auch der Beistandspflicht nachkommt.

Zu den Fähigkeiten, gehören Verfügbarkeiten, Reaktionszeiten und in welchem Maß reagiert wird, bzw. wie schnell welche Einheiten verlegbar sein müssen uvm. Aus diesem Entscheidung kann sich die Politik nicht raushalten. Einfach nur zu sagen, dass wir eine Kaltstartfähigkeit brauchen, ist ein bisschen wenig. Das stellt sich genau die Frage, was ist das und wie genau das aussehen soll.

Oder auch das Beispiel "Jeden Quadratmeter des Bündnisses verteidigen können" - gilt das auch für Spitzbergen oder die Bäreninsel, wenn ja wie?

Genauso mehr Verantwortung, was ist das? ein neuer Stab?

Auf was ich raus möchte ist, das dass alles sehr unkonkret ist. Wenn es so klar wäre, dann gäbe es keine interne Diskussion, ob man nun mittlere Kräfte beschafft oder schwere...

Dazu gehört auch das Thema Personalbedarf und wie man gegensteuert.

Das aktuell ist doch immer noch die gleiche Mangelwirtschaft, egal ob 100 Milliarden zusätzlich. Man schaut was man hat und danach erst was man damit machen kann. Davon abgesehen trägt die Verteidigungsministerin die Verantwortung dafür, was die Bundeswehr macht. Und wenn die Bundeswehr selbst, so wie ihr meint, zu langsam reagiert, ist es auch an der Verteidigungsministerin da gegenzusteuern. Es ihr Ressort und ihre Verantwortung.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Broensen - 26.09.2022

(26.09.2022, 10:46)26er schrieb: Zu den Fähigkeiten, gehören Verfügbarkeiten, Reaktionszeiten und in welchem Maß reagiert wird, bzw. wie schnell welche Einheiten verlegbar sein müssen uvm. Aus diesem Entscheidung kann sich die Politik nicht raushalten. Einfach nur zu sagen, dass wir eine Kaltstartfähigkeit brauchen, ist ein bisschen wenig. Das stellt sich genau die Frage, was ist das und wie genau das aussehen soll.

Das wird aber im Rahmen der NATO festgelegt, nicht national. Die deutsche Politik sagt nur ja oder nein und ab und zu mal "hier wollen wir ein Signal setzen." Meistens wird letzteres sogar zum Problem, weil die dazu vorgenommenen Konkretisierungen sich mangels militärischer Expertise kontraproduktiv auswirken können (siehe unten). Allerdings muss auch dabei wieder die Generalität in Haft nehmen, denn deren Aufgabe wäre es ja eigentlich, die Politik entsprechend frühzeitig zu beraten.

Zitat:Oder auch das Beispiel "Jeden Quadratmeter des Bündnisses verteidigen können" - gilt das auch für Spitzbergen oder die Bäreninsel, wenn ja wie?

Siehe oben. Im Bündnis. Die dafür notwendigen Fähigkeiten definiert die NATO und die BW muss das dann in Truppen und Gerät übersetzen.

Zitat:Auf was ich raus möchte ist, das dass alles sehr unkonkret ist. Wenn es so klar wäre, dann gäbe es keine interne Diskussion, ob man nun mittlere Kräfte beschafft oder schwere...

Ich schrieb ja bereits: Die mittleren Brigaden sind das, womit die konkreter formulierten politischen Vorgaben mit dem geringsten Aufwand erfüllt werden können. Sie sind aber nicht für das übergeordnete Ziel von LV/BV das geeignetste Mittel. Daraus ergibt sich ein Zielkonflikt. Und den muss die BW-Führung jetzt unter sich ausmachen oder der Politik sagen: "Eure Zielsetzung ist nicht stimmig." Das wäre jetzt eigentlich ihre Verantwortung, aber davor scheut man sich offensichtlich oder findet es einfach sowieso besser, den leichten Weg zu gehen.

Zitat:Davon abgesehen trägt die Verteidigungsministerin die Verantwortung dafür, was die Bundeswehr macht. Und wenn die Bundeswehr selbst, so wie ihr meint, zu langsam reagiert, ist es auch an der Verteidigungsministerin da gegenzusteuern. Es ihr Ressort und ihre Verantwortung.

Okay, da hast du einen Punkt. Nur hat es schon ewig kein/e Verteidigungsminister/in mehr gegeben mit der ausreichenden Kompetenz und Courage dazu.


Ansonsten hat es Quintus sehr gut herausgearbeitet, wenn auch in seiner gewohnt undiplomatisch-pessimistischen Art. Wink


RE: Bundeswehr – quo vadis? - ObiBiber - 26.09.2022

Zitat:Siehe oben. Im Bündnis. Die dafür notwendigen Fähigkeiten definiert die NATO und die BW muss das dann in Truppen und Gerät übersetzen.


Ich schrieb ja bereits: Die mittleren Brigaden sind das, womit die konkreter formulierten politischen Vorgaben mit dem geringsten Aufwand erfüllt werden können. Sie sind aber nicht für das übergeordnete Ziel von LV/BV das geeignetste Mittel. Daraus ergibt sich ein Zielkonflikt. Und den muss die BW-Führung jetzt unter sich ausmachen oder der Politik sagen: "Eure Zielsetzung ist nicht stimmig." Das wäre jetzt eigentlich ihre Verantwortung, aber davor scheut man sich offensichtlich oder findet es einfach sowieso besser, den leichten Weg zu gehen.

Ich sehe das nicht als Problem…Plan ist ja dass man in Zukunft sowohl schwere als auch mittlere Brigade hat!
Also nicht entweder oder!
Man hat beides!
und beide bedingen einander…
und beide werden im Rahmen der NATO eingesetzt mit schweren und mittleren Brigaden unserer Verbündeter!
ob Deutschland da am Ende eine schwere Brigade mehr oder weniger aufbietet ist absolut irrelevant!
Deutschland wird selbst im worst case immerhin
320 Leopard 2
450 Puma
80-100 Pzh2000
als schwere Kräfte aufbieten können…
Das ist mehr als Frankreich oder UK im Bestand haben…nur Polen wird absehbar mehr aufbieten können…
und dann kommen zusätzlich mittlere Brigaden auf Boxer Basis dazu…
dem am besten geschützten und flexibelsten 8x8 Fahrzeug der Welt!
also eigentlich schon schwere mittlere Kräfte…


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Broensen - 26.09.2022

Das ändert aber nichts daran, dass die Kompromisse, die man für diese Umstrukturierung eingeht, insgesamt die Kampkraft senken wird, während das -zumindest meiner Meinung und wohl auch der einiger anderer nach- nicht durch die gewonnen Vorteile ausgeglichen werden kann. Man verfolgt hier also ein Teilziel, dass dem übergeordneten Ziel in seiner Konsequenz zuwider läuft. Und das führt verständlicherweise zu Uneinigkeit in der BW-Führung. (Falls das überhaupt wirklich der Grund ist und sie nicht einfach nur rumtrödeln...)

Und wie du weißt, kritisiere ich ja vor allem diese Umstrukturierungen und das dahinterstehende Ziel, nicht aber die Anschaffung der Technik dieser Kräftekategorie mit Ausnahme des Radschützenpanzers. Aber wir wollen das ja nicht schon wieder mit den immer selben Argumenten ausdiskutieren.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - 26er - 26.09.2022

(26.09.2022, 10:29)Broensen schrieb: Munition hätte man nachbestellen können/müssen. Das hängt sicher einfach in der Bürokratie fest und ist auch keine Aufgabe der Politik.

Das sehe ich anders. Wenn es wichtig ist, dass die Bundeswehr wieder funktioniert, dann muss die Politik auch dahinter sein, dass bestellt werden kann - siehe Punkt Verantwortung.

Auf den Punkt dass die Generalität an sich unfähig sei, möchte ich jetzt nicht eingehen. Dazu fehlt mir der Einblick und mir ist das auch zu allgemein.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - FJ730 - 26.09.2022

(26.09.2022, 10:18)OG Bär schrieb: @26er

Welche Vorgaben meinst du. Auf der letzen Bundeswehrtagung gab es doch klare Aussagen der Politik,

- Jeden Quadratmeter des Bündnisses verteidigen können
- Kaltstartfähigkeit
- Landes- und Bündnisverteidigung first, alles andere hat sich dem Unterzuordnen
- mehr Verantwortugn in der NATO übernehmen
.....
Das sind doch für mich ersteinmal Leitplanken an denen entlang mal planen kann. In einem Weißbuch steht doch auch nciht viel mehr. Also zumindest nicht im dem letzten. Zumindest nicht inhlatlich. Mehr Text ja!
Es sind aber eben nur Eckpunkte auf einer Tagung und kein sicherpolitisches Strategiepapier bzw Konzept. Das ist für das zweitstärkste (wirtschaftlich natürlich) Nato Land mit diesen großspurigen Ankündigungen der Politik im Februar einfach zu wenig und widerspricht sich auch mit unserem peinlichen herumgestolpere da im Infopazifik. Sowohl von der Politik als auch vom Militär. Man steht sich da aus meiner Sicht gegenseitig im Weg. Da treffen weitgehend ahnungslose politische Funktionäre die nicht wirklich wissen was sie eigentlich wollen -ausser irgendwie was abwehren und verteidigen- auf einen Behördenapparat mit einer Führungskultur aus der Kaiserzeit, wo kritische Nachfragen oder Meldungen die kein voller Erfolg sind sehr schnell in eine Karrieresackgasse führen. Daher werden viele Mängel nicht gemeldet und viele Bedarfe nicht angemeldet. An genau diesem Prinzip leiden alle autokrantischen und sozialistischen Systeme und gehen früher oder später zum Glück an ihnen zu Grunde. Die Bw geht natürlich nicht zu Grunde, sie ist halt einfach in dem Zustand in dem sie ist.
(26.09.2022, 15:02)Broensen schrieb: Ich schrieb ja bereits: Die mittleren Brigaden sind das, womit die konkreter formulierten politischen Vorgaben mit dem geringsten Aufwand erfüllt werden können. Sie sind aber nicht für das übergeordnete Ziel von LV/BV das geeignetste Mittel. Daraus ergibt sich ein Zielkonflikt. Und den muss die BW-Führung jetzt unter sich ausmachen oder der Politik sagen: "Eure Zielsetzung ist nicht stimmig."

Auch wenn die Nato natürlich der Eckpfeiler unserer Verteidigung ist und LV/BV "derzeit" im Fokus stehen mag, sehe ich da keinen Zielkonflikt wenn man Kräfte bereit stellt, die auch für andere Szenarien geeignet sind. Mit Puma und Leopard kann ich ( schon allein wegen fehlender Transportmöglichkeiten) in fast allen IKM Szenarien nichts anfangen. Dann haben wir in ein paar Jahren den gleichen Salat den wir schon vor 20 Jahren hatten. Ein stehendes Panzerheer in der Norddeutschen Tiefebene was den ganzen Tag auf Rotland wartet. Ich sehe Rotland nicht nur wegen der aktuellen Situation auch in 50 Jahren nicht in der Heide.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - ObiBiber - 26.09.2022

(26.09.2022, 19:22)FJ730 schrieb: Auch wenn die Nato natürlich der Eckpfeiler unserer Verteidigung ist und LV/BV "derzeit" im Fokus stehen mag, sehe ich da keinen Zielkonflikt wenn man Kräfte bereit stellt, die auch für andere Szenarien geeignet sind. Mit Puma und Leopard kann ich ( schon allein wegen fehlender Transportmöglichkeiten) in fast allen IKM Szenarien nichts anfangen. Dann haben wir in ein paar Jahren den gleichen Salat den wir schon vor 20 Jahren hatten. Ein stehendes Panzerheer in der Norddeutschen Tiefebene was den ganzen Tag auf Rotland wartet. Ich sehe Rotland nicht nur wegen der aktuellen Situation auch in 50 Jahren nicht in der Heide.

Jupp…sehe ich auch so…da fehlt Rotland in den nächsten Jahren das Material dafür…
Die mittleren Kräfte sind vielseitiger einsetzbar…auch in „normaleren“ Zeiten…
Unsinn normalen Zeiten günstiger im Unterhalt und Betrieb…
und gegen alte panzer aus den 50er Jahren (welche Rotland aktuell einsetzt) reichen auch ein paar Boxer CRV ganz gut aus…


RE: Bundeswehr – quo vadis? - FJ730 - 26.09.2022

Eben, der Boxer ist ein Segen! Her damit, und zwar schnell viel. Pumas zum warten im doppelten Sinne sind genug da.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Leuco - 26.09.2022

Ich halte die Argumentation auch für sehr richtig. Es wäre ein Fehler kopflos in die andere Richtung zu rennen. Ein gesundes mittel ist die richtige Strategie.

Auch das Thema Unterhalt ist sehr relevant. Ich bin der Meinung es wäre richtig sich einige auch große Lücken in der Breite zu leisten und auf die ein oder andere teure Fähigkeit komplett zu verzichten. Das was man hat, dann aber in einem hohen Klarstand

Wenn man das Ganze von unten aufzieht beginnt man bei der Kleidung bzw. persönlichen Dingen und dann über Fahrzeuge etc. nach oben. So reicht es dann evtl nicht für schwere Transporthubschrauber oder auch Kampfpanzer. Das was da ist funktioniert allerdings.

Wir haben nun aber erstmal die teuersten Dinge auf den Weg gebracht. So schafft man es wie Russland, dass es dann an Winterkleidung scheitert oder wie bei uns abzusehen an Munition etc.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Broensen - 26.09.2022

Wir landen beim Thema "mittlere Kräfte" immer wieder beim gleichen schwarz/weiß-Denken. Das trifft aber mMn nicht den Kern der Debatte. Ich lehne zwar das derzeit diskutierte Konzept mittlerer Brigaden von Radpanzergrenadieren als Ersatz für bisherige Panzergrenadierbrigaden ab. Aber eure geäußerten Meinungen bzgl. "mehr BOXER", weil flexibel, IKM, etc. teile ich ja absolut. Das wird immer wieder falsch gewertet. Gerade mit dem GTK CRV sollten wir mMn ganze Regimenter ausstatten und auch die RCH155 halte ich für wichtiger als die PzH2k. Es geht nur um die geplante Struktur, die angedachte Rolle und die Einschnitte, die man dafür in Kauf nimmt.


(26.09.2022, 19:22)FJ730 schrieb: Da treffen weitgehend ahnungslose politische Funktionäre die nicht wirklich wissen was sie eigentlich wollen -ausser irgendwie was abwehren und verteidigen- auf einen Behördenapparat mit einer Führungskultur aus der Kaiserzeit

Ja, das kann man so umschreiben. Aber deswegen sollte man eben nicht von unserer real existierenden Politik erwarten, dass sie detailliertere Vorgaben macht. Denn das führt im Endeffekt dann zu rein politisch motivierten, militärisch kontraproduktiven Vorgaben.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Quintus Fabius - 26.09.2022

Um es so einfach und übersichtlich wie möglich zu artikulieren:

1. Es gibt zwei Möglichkeiten: A wir stellen eine ganzheitliche Streitkraft auf, die möglichst viele Bereiche vollumfänglich umfasst - B wir spezialisieren uns im europäischen Rahmen und bilden einen eindeutigen und dezidierten Schwerpunkt.

Welches von beidem man anstrebt muss zuerst festgelegt werden, vor allem anderen.

2. Entscheidet man sich für A, ist die Frage nach den Systemen gar nicht so relevant, da wir ja dann eine komplette, vollständige und selbstständige Streitmacht haben. Entscheidet man sich aber für B, dann muss man als zweiten Punkt untersuchen, welche Fähigkeiten im europäischen Gesamtverbund notwendig sind, und dass sind NICHT mittlere Kräfte, und weder mittlere Kräfte noch schwere Kräfte sollten hier überhaupt im Vordergrund stehen, sondern ganz andere militärische Bereiche.

3. Hat man heraus gefunden, welche Fähigkeiten notwendig sind, muss der Schwerpunkt der Rüstung dort gelegt werden.

4. Dann ist aber noch zusätzlich zu untersuchen, welche Gestaltung des Schwerpunktes (genauer gesagt der Schwerpunkte) die Kriegsfähigkeit maximal erhöht und es muss dann innerhalb dieser die Zusammenstellung allein auf die Maximierung der Kriegsfähigkeit hin ausgelegt werden.

5. Meiner Ansicht nach ergibt sich dann aus einer solchen Kausalkette, dass wir vor allem anderen die Luftwaffe stärken müssen, dann benötigen wir eine nukleare Teilhabe die (auch) auf Marschflugkörpern abgestützt wird, wir benötigen weitreichende Raketenartillerie, sehr viel weitergehende Aufklärungsfähigkeiten und die Befähigung die feindliche Aufklärung so weitgehend wie möglich zu verhindern (dies auf allen Ebenen), einen massiven Ausbau der elektronischen Kriegsführung und schließlich eine ganzheitliche, streitkräftegemeinsame / integrierte Luftraumverteidigung usw usw usf und erst dann, irgendwann können wir über Radpanzer oder Kampfpanzer oder dergleichene Nebensächlichkeiten diskutieren.

Die Schwerpunkte müssten also ganz woanders liegen. Das die ganze Diskussion nicht nur hier, sondern auch sonst in deutschsprachigen Foren so dermaßen Heereslastig und innerhalb des Heeres so sehr auf der Frage der mittleren Kräfte aufgehängt wird, ist bezeichnend!

Aber selbst wenn wir nach allem anderen an diesem Punkt angelangt sind, ist es höchst einfach: was dient in einem europäischen Gesamtkontext am meisten?! Mittlere Kräfte sind dies definitiv nicht, davon hat Europa genug und manche Länder haben hier Fähigkeiten welche wir nicht erlangen werden. Es wäre und ist daher ein absoluter Fehler auch mittlere Kräfte beschaffen zu wollen, wenn man den Weg 1.A nicht gehen kann, und exakt da sind wir: wir können das nicht.

Die real-praktischen Umstände verhindern in jedem Fall, dass diese Bundesrepublik und ihre Gesellschaft eine vollumfängliche Streitkraft aufstellen können. Das wird nicht geschehen. Nun kann man wie Helios es manchmal getan hat einwerfen, dass ein zu weitgehender Schwerpunkt die Frage aufwirft, ob es sich dann überhaupt noch um eine Armee handelt? Wir hatten das besonders ausgeprägt mal bei meinem Vergleich des USMC mit der Bundeswehr.

Die Frage ist also gar nicht, ob man mittlere UND schwere Kräfte aufstellen will, sondern wie weitgehend, wie tief, wie ausgeprägt der Schwerpunkt sein sollte, völlig gleich wo man diesen dann setzt. Man könnte auch genau so gut (rein theoretisch!) einen Schwerpunkt nur bei mittleren Kräften setzen und dafür dann sehr viel mehr davon haben, mit sehr viel größerer Leistungsfähigkeit usw

Bevor man aber überhaupt den Bereich festlegt, in welchem man den Schwerpunkt (oder vielmehr die Schwerpunkte) setzen will, müsste man eben zuerst mal untersuchen, wie weitgehend dieser Schwerpunkt ausfallen sollte und ausfallen darf, und ab wann eine zu starke Spezialisierung auch schon wieder zum Problem wird.

Wie Leuco es so treffend geschrieben hat, benötigen wir zwingend große Lücken in der Breite und wir müssen auf Fähigkeiten verzichten. Wenn man nun über diese oder jene Kräfte spricht, müsste man für beide jeweils untersuchen, wie tief der jeweilige Schwerpunkt bei diesen überhaupt sein kann. Und die Option ist für sich selbst die bessere, bei der ich einen massiveren / dezidierteren Schwerpunkt bilden kann (denn ich kann nicht überall gleich weit in die Tiefe gehen), und zugleich ist die Option die bessere, welche im gesamteuropäischen Kontext am meisten nützt.

Und wenn man diese beiden Seiten nun betrachtet, ergibt sich für mich daraus, dass mittlere Kräfte absolut der falsche Weg sind, und dass sie den zwingend notwendigen Schwerpunkt verwässern und aufweichen und damit insgesamt nur ein Schaden sind. Am Ende hat man eben dann nicht beides, sondern man hat von beidem nichts ganzes und nichts halbes.

Aber selbst vor die Wahl gestellt, ob wir mehr Fähigkeiten bei der Luftwaffe oder Kampfpanzer haben sollten, kämen diese erst sehr viel später. Die Heerslastigkeit und die Panzerlastigkeit der Diskussion hier wie in anderen deutschen Foren und auch in der Bundeswehr selbst sind schon für sich allein ein Problem.

FJ730:

Zitat:Mit Puma und Leopard kann ich ( schon allein wegen fehlender Transportmöglichkeiten) in fast allen IKM Szenarien nichts anfangen.

Ein einziger Leopard 2 bringt in einem IKM Szenario wesentlich mehr als etliche GTK Boxer. Und selbst Dänemark hat es hingekriegt in Afghanistan Leopard 2 höchst erfolgreich einzusetzen. Ebenso waren die deutschen Marder und die Präsenz der PzH2000 dort in vielen Situationen extrem wertvoll.

Es ist aber meiner Meinung nach ein ganz allgemein weitverbreiteter Irrtum, dass mittlere und leichte Kräfte für irgendwelche meist völlig sinnbefreiten Kolonialscharmützel besser geeignet wären, weil ihre strategische Beweglichkeit pro System betrachtet besser erscheint, weil ihre Wartung / Inst vor Ort leichter sind und weil die Versorgungskette weniger aufwendig ist und schließlich manchmal auch weil aufgrund Geographie und Klima die taktische Beweglichkeit höher ist. Diese Betrachtung greift aber zu kurz. Gerade im IKM wäre eine Befähigung schwere Einheiten projizieren zu können immens wertvoll, und deutlich wertvoller als weitere mittlere Kräfte denen der Verbündeten hinzu zu fügen.

ObiBiber:

Zitat:ob Deutschland da am Ende eine schwere Brigade mehr oder weniger aufbietet ist absolut irrelevant!

Ganze Kriege wie auch kriegsentscheidende Schlachten sind schon von solch "kleinen" Faktoren entschieden worden. Wenn wir am Ende eine schwere Brigade mehr aufbieten könnten, wäre dies daher absolut relevant. Und keineswegs verhält es sich so, dass man diese Einheiten im Bereich IKM nicht benötigen könnte, ganz im Gegenteil. Gerade eben die Befähigung solche Einheiten auch dort einsetzen zu können ist tatsächliche militärische Macht. Das war ganz ursprünglich ja auch mal die Idee des PUMA an sich, was dann daraus im Detail wurde, ist natürlich noch mal eine ganz andere Sache.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Broensen - 26.09.2022

(26.09.2022, 22:09)Quintus Fabius schrieb: Die Schwerpunkte müssten also ganz woanders liegen. Das die ganze Diskussion nicht nur hier, sondern auch sonst in deutschsprachigen Foren so dermaßen Heereslastig und innerhalb des Heeres so sehr auf der Frage der mittleren Kräfte aufgehängt wird, ist bezeichnend!

Aber selbst wenn wir nach allem anderen an diesem Punkt angelangt sind, ist es höchst einfach: was dient in einem europäischen Gesamtkontext am meisten?! Mittlere Kräfte sind dies definitiv nicht, davon hat Europa genug und manche Länder haben hier Fähigkeiten welche wir nicht erlangen werden.

Man kann den Ansatz aber auch so weit runter brechen, dass sich die Frage stellt: Wie interpretieren wir "mittlere Kräfte" und welche Aufgaben und Fähigkeiten müssen speziell unsere mittleren Kräfte erbringen, um trotzdem im Bündnis wieder einen exklusiven Schwerpunkt zu liefern. Und dann landet man mMn schnell bei einem besonders leistungsfähigen Aufklärungs-Wirkverbund, der durch eine Kombination von GTK CRV/RCH/MLRS etc. erzielt werden kann, den keine andere Nation bisher so bietet, im Gegensatz zu RadPanzerGrenadieren, wie sie mittlerweile in jedem europäischen Heer zu finden sind.