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Russland vs. Ukraine - Druckversion

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RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 04.03.2022

Schneemann:

Zitat:Man erinnere sich: Bereits am zweiten Tag der Invasion bzw. letztes Wochenende, als Europa noch in Schockstarre über den eigentlichen Angriff sich befand und fassungslos auf eine Attacke starrte, die die meisten beinahe als surrealen Alptraum ansahen, versetzte Putin die russischen Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft.

Anbei: 2014 wurden die Atomstreitkräfte ganz genau so in Alarmbereitschaft versetzt. Das Problem sehe ich eher darin, dass der Westen diesmal anfängt zu sehr und zu offen zu zündeln.

Werter Nightwatch:

Es ist mir eine besondere Freude mal wieder etwas von Dir zu hören !

Zu Bellingcat: das ganze hat meiner Meinung in großen Teilen den gleichen Wert wie die aktuell in Russland grassierenden Verschwörungstheorien dazu. Um dir mal einen Einblick in die "russische Seele" zu geben - und zur Beruhigung von Schneemann ohne Vernetzung zu russischen Propagandakanälen - aktuell beispielsweise macht sich das Narrativ breit, dass der Westen durch Lügen welcher er auf Wegen der Geheimdiplomatie Russland zugespielt hat die RF in den Krieg hinein gelockt hat. Man habe Russland vorgetäuscht, dass man den Krieg gegen die Ukraine zulassen wird und nur ein paar Pseudo-Sanktionen macht. Alle Signale des Westens seien so gewesen - aber das sei auch wieder nur eine hinterlistige Täuschung des Zitat: Imperiums der Lügen (damit sind wir gemeint) gewesen, mit dem Ziel die RF weiter zu schädigen und zu schwächen um Russland zu vernichten.

Es wird in sehr breiten Kreisen der Gesellschaft wie der Eliten tatsächlich davon ausgegangen, dass "wir", der Westen TM eine geheime Agenda verfolgen deren Ziel die Vernichtung und Auflösung der russischen Nation ist. Aus solchen Gedankengängen heraus sind viele Russen davon überzeugt, dass der Krieg mit dem Westen ohnehin in jedem Fall unvermeidbar ist, dass aber der Westen aufgrund seines technologischen und wirtschaftlichen Vorsprungs ein Interesse daran hat, dass der Krieg erst in einiger Zeit stattfindet, da seine Überlegenheit ständig wächst. Im Umkehrschluss wäre es für Russland sinnvoller den Krieg jetzt zu führen, da er sowieso unvermeidbar ist und man jetzt im Verhältnis noch stärker ist,bzw. der Westen noch keine derartige Überlegenheit erlangt hat.

Diese Gedankengänge sind gerade in der russischen Armee tatsächlich verbreitet. Ironischerweise ist diese Logik gar nicht weit weg von dem was du nun hier schreibst:

Zitat:Wären unsere Gesellschaften in der Lage dies auszuhalten und den Opfergang Hunderttausender passiv am Fernsehschirm zu verfolgen? Im Angesicht unserer ich sage emotional höchst beeinflussbaren Öffentlichkeit habe ich hier sehr große Zweifel. Müssen wir in einem solchen Szenario nicht damit rechnen, dass ein Eingreifen des Westens – was sich nach unseren Vorstellungen moralisch wie rechtlich auch wunderbar begründen ließe, Stichwort etwa responsibility to protect – nicht nur wahrscheinlich wäre, sondern aufgrund der sich dann manifestierenden gesellschaftspolitischen Sachzwängen quasi zwangsläufig erfolgen müsste?

Wenn das dort zu einem richtigen Blutvergießen wird, so kann dies auf die Mehrheit der Bevölkerung auch abschreckend wirken. Natürlich werden lautstarke Minderheiten und Krakeeler dann allerradikalste Maßnahmen fordern und Politik wird nicht unbedingt von der Mehrheit bestimmt, aber dessen ungeachtet ist den Menschis hierzulande doch nicht mal im Ansatz mehr klar was richtiger Krieg bedeutet. Sollten die Russen beispielsweise in der Ukraine unterschiedlose Vernichtung durchführen oder sogar ein paar taktische Nuklearwaffen zünden, wird die zwingende Folge daraus nicht sein, dass wir in der Ukraine eingreifen, sondern dass wir uns auf der Stelle realpolitisch aus diesem Konflikt verabschieden. Natürlich wird dann aus Angst hierzulande eine völlige Kehrtwende erfolgen, aber außenpolitisch in der Ukraine selbst wird man die Füße still halten. Kein Sybarit hierzulande wird seinen Wohlstand für die Ukraine opfern, oder um es noch deutlicher auszudrücken: für die Mehrheit der Menschen hierzulande ist die ganze Ukraine weniger Wert als das Leben einer einzigen schwarzbeschäftigten rumänischen Putzfrau.

Zitat:Eine weitere zwingende Schlussfolgerung aus dieser Argumentation wäre dann für mich auch, dass der Krieg gegen Russland besser früher als später und wenn irgend möglich nach unseren Vorstellungen zu führen ist.

Gestatte mir daher bitte an dieser Stelle die Frage, warum diese Schlußfolgerung für dich zwingend ist?


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 05.03.2022

Ein paar weitere Analysen:

(da ich gefragt wurde : ich verzichte bewusst auf beliebige Twitter Schnipsel, und halte Zusammenfassungen und allgemeine übergreifende Überlegungen für deutlich besser. Man könnte hier natürlich endlos Twitter Schnipsel, Bilder und Kurzfilmchen vernetzen, aber wozu?)

Über die erste Woche:

https://mwi.usma.edu/one-week-in-an-operational-assessment-of-the-war-in-ukraine/

https://warontherocks.com/2022/03/known-knowns-and-known-unknowns-in-the-russian-invasion-of-ukraine/

Über eine zukünftige Guerilla:

https://mwi.usma.edu/a-ukrainian-insurgency-will-be-long-and-bloody/

Über eine Flugverbotszone:

https://warontherocks.com/2022/03/the-dangerous-allure-of-the-no-fly-zone/

Zusammenfassung Tag 9:

https://militaryland.net/ukraine/invasion-day-9-summary/

https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-march-4


RE: Russland vs. Ukraine - GermanMilitaryPower - 05.03.2022

https://twitter.com/The3Swamp/status/1500030401657688064

Abschuss eines russischen Hind‘s.

Kann mir jemand sagen, ob der Hind keine automatische Aktivierung von Flares hat? Eventuell waren auch alle aufgebraucht, was für die ukrainische bodengebundene Luftabwehr spricht.

Weiß jemand hier, ob es sich bei der Rakete um eine Stinger handelt?


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 05.03.2022

Kann es leider nicht abspielen, aber es wurden schon mehrere Helis der Russen abgeschossen. Die verwendeten Hind Modelle haben meiner Kenntnis nach 6 Täuschkörperwerfer und ich habe in anderen Filmen auch schon gesehen wie sie solche absetzten. Das dies hier nicht erfolgte spricht dafür, dass man bereits alle verbraucht hatte, was jetzt nicht so überraschend ist, sondern bei einem Geschehen dieser Größe ganz normal.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 05.03.2022

Noch ne Karte:

https://twitter.com/konrad_muzyka/status/1499884439043674113/photo/2

Und noch ne Karte(n):

https://www.nytimes.com/interactive/2022/world/europe/ukraine-maps.html?smid=tw-nytimes&smtyp=cur

und eine Menge recht guter Text der NYT dazu.

Zur weiterhin "fehlenden" russischen Luftwaffe - der für mich ehrlich gesagt größten Überraschung dieses Krieges:

https://theaviationist.com/2022/03/04/russian-campaign-in-ukraine/


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 05.03.2022

@Quintus

Ich wäre mir nicht so sicher, dass ‚richtiges Blutvergießen‘ dann noch eine abschreckende Wirkung hätte. Natürlich gibt es den Effekt der von dir beschriebenen Abschreckung und er wird bis zu einem gewissen Punkt auch genau so eintreten (tut es ja auch schon).

Ich denke mir jedoch, dass es eben diesen Punkt gibt, mit dem auch der viel geschmähte Westler dem Schlachten nicht mehr zusehen kann. Nicht, nicht zusehen will, sondern tatsächlich nicht mehr zusehen kann, weil er es aufgrund seines viel geschmähten Zustandes schlicht nicht mehr erträgt.
Wo soll da Kopf in den Sand und die Erklärung ‚wir sind raus‘ Abhilfe schaffen? Das Morden würde weitergehen, jeden Tag, live und in Farbe, auf allen Kanälen.

Urängste sind ein weiterer Punkt. Urängste im Sinne von ‚wehe wenn der Russe losgelassen‘. Schon jetzt kommt da einiges ganz tief Verwurzeltes in unseren Gesellschaften wieder an dir Oberfläche. Je länger es dauert und schlimmer es kommt wird sich diese Angst verstärken und zunehmen dominieren. Das mag das scheue Tier eine ganze Zeit lang in eine Schockstarre versetzen, doch gleichzeitig rückt der unweigerliche Punkt näher mit dem es ausbrechen wird.

Wie gesagt, wir sollten den Impact nicht unterschätzen. Es ist eben kein Krieg irgendwo in sonst wo auf einem anderen Kontinent, der außer ein paar ‚Militaristen‘ niemanden interessiert und ausgeblendet werden kann. Auch wenn es manchen vielleicht nicht schmecken mag, das Morden hat einen anderen massenpsychologischen Impact, wenn es um weiße christliche Europäer mit sehr ähnlichen kulturellen Backround aus der nächsten Nachbarschaft geht.

Und letzteres ist vielleicht der springende Punkt. Die Frage ist weniger, zu welcher Haltung sich speziell das deutsche Volk hinreißen lassen wird, sondern was unsere Osteuropäischen Verbündeten bereit sind hinzunehmen. Da mag es schon sein, dass dem Deutschen die Ukraine vielleicht keine Rumänische Putzfrau wehr ist, in Rumänien könnte die Rechnung aber zu etwas anderen Ergebnissen führen. Oder anders ausgedrückt: Wie viel Blut muss fließen bis die Polen marschieren? Für die Osteuropäer tobt der Krieg in der unmittelbaren Nachbarschaft, sie werden stärker als wir von den Kriegsereignissen betroffen sein und dem Leid noch viel direkter ausgesetzt sein.

Wann wird es dort heißen - genug ist genug, wir müssen *etwas* tun? Und glaube bloß nicht, das Berlin sich aus der Nummer dann wird rauswinden können.
Übrigens: https://twitter.com/dsszzi/status/1500046389685932033

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Hinsichtlich der Überlegungen basierend auf der bellingcat Geschichte –
Ein Russland das sich quasi fast absichtlich in eine Art Nordkorea 2.0 verwandelt, indem es einen Weg in eine totalitäre und durchmilitarisierte Gesellschaft geht, braucht schon allein zur Internen Stabilisierung eine äußere Konfrontation.
Ich sehe nicht, wie das sonst funktionieren könnte. Die Fallhöhe die der russischen Gesellschaft bevorstehen würde /bevorsteht (?) , ist einfach viel zu hoch. Auch in Russland wird man die Wut der Massen irgendwie kanalisieren müssen. Gerade die der jüngeren Generationen, die in (leidlicher) Freiheit und (leidlichen) Wohlstand aufgewachsen sind und deren Leben dann quasi vorbei wäre.

Ein Regime wir Nordkorea kann doch nur errichtet werden und funktionieren, wenn der Absturz auf einen äußeren Feind geschobene werden kann. Eine bloße propagandistische Erzählung gepaart mit Unterdrückungsmaßnahmen erschiene mir nicht im Ansatz ausreichend um den Laden zusammenzuhalten, wenn es um mehr geht als das nächste Iphone und sich die Geschichte stattdessen in Richtung dritte Welt entwickelt.

Und wenn Russland diesen Weg geht, warum dann warten bis es diesen Krieg nach seinen Vorstellungen führen wird? Wäre es nicht vorzuziehen, die Geschichte so oder so zu beenden bevor Russland sich in seiner neuen Rolle konsolidiert und die ‚russischen Massen‘ zu den Waffen gerufen/gezwungen hat?

Natürlich sind das sehr oberflächliche Gedanken und ich würde mich auch nicht darauf festlegen wollen, dass bellingcat hier ins Schwarze trifft. Aber wenn doch, sehe ich keine Möglichkeit dieses Russland irgendwie einhegen zu können. Das soll deswegen nicht heißen Krieg jetzt sofort, aber wenn sich diese Entwicklung abzeichnet…

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Trennung und anderer Aspekt. Wie schon angerissen, oa Überlegungen sind eher Schublade denkbarer WorstCase. Die (militärische) Realität stellt sich doch noch etwas, vielleicht sogar deutlich anders dar.
Ich halte es in der zweiten Kriegswoche ehrlich gesagt fraglicher denn je, ob und wie Russland diesen Krieg überhaupt in Richtung Besetzung und Guerilla verschieben, sprich Invasion erfolgreich abschließen kann.

Natürlich hat die russische Armee auf dem Papier die Feuerkraft genau dies zu tun. Aber ich gewinne zunehmend den Eindruck (vielleicht auch nur Prinzip Hoffnung), dass Einschätzungen in Richtung ‚wenn sie jetzt richtig loslegen, dann…‘ in die gleiche Schublade gehören wie die Erwartungen eines schnellen russischen Sieges / schnellen ukrainischen Zusammenbrechens vor dem Krieg.

Einige ungeordnete Gedanken hierzu:
Die Russische Armee seht seit dem dritten Tag effektiv untätig im Feld. Raumgreifende neue Vorstöße sind nicht zu verzeichnen, die glorreiche Offensive war und ist effektiv nach den ersten 100km beendet. War wir jetzt sehen sind mehr oder weniger lokale Bemühungen beider Seiten (!) vor verteidigten Stätten die Oberhand zu gewinnen. Ein operativer Vorstoß ins ukrainische Kernland ist bislang nicht erfolgt, zeichnet sich nach meiner Auffassung so auch nicht ab, würde wohl auf entschiedenen Ukrainischen Widerstand in der Tiefe treffen und wenn nicht auf breiter Front erfolgen schnell gestoppt und zerschlagen werden. Und - mag der Spötter hinzufügen – sich auch ohne größeren ukrainischen Widerstand nach hundert Kilometern wieder totlaufen.

Bei Lichte betrachtet ist das Kampfgeschehen in der ersten Woche aus ukrainischer Sicht doch nur kritisch, weil Kiev geographisch sehr ungünstig in Frontnähe gelegen. Nur hierdurch entsteht über einen Enthauptungsschlag doch überhaupt die Möglichkeit für ein schnelles Kriegsende.

Und wie sieht das in der Realität aus? Die Hälfte des Weges von Weißrussland nach Kiev konnte nicht effektiv verteidigt werden (weil halt durch Chernobyl) und effektiv genügten der ukrainischen Armee entschiedener Widerstand auf wenigen Kilometern in den Vororten und einige gesprengte Brücken um den russischen Vormarsch deutlich vor den Stadtgrenzen zu stoppen.

Das Resultat ist ein russischer ‚Konvoi‘ verteilt irgendwie von Kiew bis zur weißrussischen Grenze, keinerlei sichtbaren Ambitionen die Achse des Vorstoßes nach Westen hin zu verbreitern und Kiev nach Süden hinzu umfassen sowie eine zunehmende Präsenz der Ukrainischen Armee im Raum südwestlich von Kiev.

Ich frage mich da schon wie man aus diesen ‚Konvoi‘ heraus in eine Angriffsbewegung generieren will. Die sitzen da am achten von geplanten drei Tagen mit sporadischen Feindkontakt in der Kälte, Kraftstoff und Verpflegung gehen zur Neige, das Wetter wird nicht besser und der Feind zunehmend stärker. Für eine enge Umfassung und Einschließung Kievs müssten die russischen Truppen westlich des Dnepr weitere 70km Luftlinie zurücklegen. Das ist deutlich mehr als die Entfernung die die Ukrainische Armee nördlich von Kiev effektiv verteidigt hat und ich sehe das ehrlich gesagt eigentlich nicht (dazu auch: https://twitter.com/TrentTelenko/status/1499894935209795594)

Zumindest nicht ohne wesentliche Umgruppierung der Russischen Kräfte und nicht in einer Art und Weise die es ukrainischen Kräfte im Rückraum nicht ermöglicht den Kessel an der schwachen Südseite nicht relativ schnell wieder aufzusprengen. Und zwar völlig ungeachtet ob diese Umfassungsbewegung nun aus dem Westen oder doch durch die Truppen die aus dem Nordosten auf den Denpr vorrücken erfolgt.

Mir wird auch dort an der Achse Sumy - Kiev die Situation durch so manche Analysten vollkommen überbewertet. Was ich vor allem sehe ist, dass sich dort wo sich die Ukrainische Armee dem Kampf gestellt (urbanes Gebiet) hat der Schwung des russischen Angriffs zuallermeist sofort verloren ging. Durchbrüche entstanden dort (Kartoffelacker) wo die Ukrainische Armee wahlweise überhaupt nicht verteidigte oder zumindest nur verzögernd auswich.

Warum sollte sich dies jetzt plötzlich ändern? Die Ukrainischen Kräfte um Kiev sollten mit jedem Tag stärker werden. Die Situation in den Vororten um Kiev macht mir nicht den Eindruck, dass die Ukrainer dort mit dem letzten Aufgebot des Kiever Volkssturms angetreten sind. Im Gegenteil, der Kampf scheint dominierend durch reguläre Ukrainische Kräfte und gar SOF geführt zu werden. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass man sich Seitens der Ukraine jetzt damit beschäftigt komme was wolle Kräfte in das Kiever Stadtgebiet hinein zu verlegen. Bilder von vollbesetzten Zügen ukrainischer/westlicher Freiwilliger am Kiever Bahnhof sind mir jedenfalls nicht bekannt.

Aber die gibt es ja. Das ukrainische (russlandfeindliche) Kernland liegt westlich von Kiev. Abgesehen von der Operation um Kiev herum beschränkt sich die russische Aktion eigentlich auf den russlandfreundlicheren Osten. Der militärische Druck im Westen ist aktuell jedenfalls effektiv gleich null. Gleichzeitig strömen eben aus dem Westen in zunehmenden Maße Freiwillige und Waffen ins Kriegsgebiet. Natürlich sind das propagandistisch aufgeblasene Zahlen, aber die Ukraine meldete diese Tage 16.000 westliche Freiwillige und über 60.000 heimkehrende Ukrainer. Ich habe nicht den Eindruck das diese Kräfte aktuell hirnlos in den Osten geworfen werden (können) um dort irgendwelche Lücken in Linien auf Kartoffeläckern zu schließen. Vielmehr würde ich davon ausgehen, dass die Ukraine zunehmend (auch) in der Lage sein wird, im Westen Reserven zu generieren, die eine eingeschlossene Hauptstadt Kiev entsetzen und russische Vorstöße ins ukrainische Kernland zerschlagen können.
Kaleidoskop heute: https://twitter.com/Caucasuswar/status/1500084779785625605

Nun ist die Situation um Kiev herum sicherlich nur ein Kriegsschauplatz von vielen und die Situation mag andernorts weniger rosig aussehen. Ich will das jetzt nicht alles aufdröseln aber vielleicht doch noch ein einfacher Aspekt zu Erinnerung: Es ist offensichtlich warum die Ukrainische Armee die Schwarzmeerküste größtenteils verloren und offensichtlich nicht ernstlich verteidigt hat (und übrigens auch Nordöstlich von Kiev nur halbherzig verzögerten). Ein Blick auf die Topographie und Klimaregionen der Ukraine ist eindeutig https://de.wikipedia.org/wiki/Geographie_der_Ukraine#/media/Datei:Ukraine_topo_de.jpg
https://en.wikipedia.org/wiki/File:Koppen-Geiger_Map_UKR_present.svg
und lässt vermuten, dass sie die Geländegewinne der Russen im flachen trockenen Tiefland so nicht auf die Westukraine übertragen lassen werden.

Strategisch gedacht erscheint es mir da aus (westukrainischer) Sicht gesehen auch für völlig verständlich, warum man hier garnicht daran denkt aufzugeben nur weil der Russe in den östlichen Provinzen oder vielleicht besser gesagt, im östlichen, ethnisch durchaus russisch geprägten Tiefland marodiert:
https://en.wikipedia.org/wiki/Demographics_of_Ukraine#/media/File:Ethnicukrainian2001.PNG

Insofern, lange Rede, kurzer Sinn. Partisanenkrieg schön und gut. Die Realität ist aktuell das ich es nicht sehe wie die Russen rein symmetrisch westlich des Denpr in der Tiefe durchsetzungsstark agieren können werden. Jetzt ist die zweite Woche des Krieges und der militärische Widerstand in den Grenzstädten von Sumy über Charkiw bis Mariupol ist ungebrochen.

Das US-Verteidigungsministerium meint, dass mittlerweile 90% der aufmarschierten Kräfte auch in irgendwo in der Ukraine rumturnen. Die Feuerkraft der russischen Armee in allen Ehren, aber wann kommt der Punkt an dem wir uns fragen müssen, was da effektiv noch symmetrisch von den Russen kommen kann bevor deren Kampfkraft durch den zunehmenden ukrainischen symmetrischen Widerstand (mittlerweile viel, viel mehr Ukrainer unter Waffen als Russen in der Ukraine!) erlahmt und sich die ganze Offensive festfrisst?
Auch hier wieder gilt: Kaffeesatzleserei. Von mir aus setzt morgen die drölfte Gardepanzerarmee über den Denpr mit Stoßrichtung Lemberg /s. Ich meine nur, zum bloßen Partisanenkrieg ist es ein zunehmend weiter Weg und ist sehe nix was in den nächsten Kriegswochen die Lage groß im Sinne Russlands ändern wird.

Zur Luftwaffe:
https://twitter.com/oryxspioenkop/status/1500109526581891072
Spricht denke ich für sich.
Außerdem:
https://rusi.org/explore-our-research/publications/rusi-defence-systems/russian-air-force-actually-incapable-complex-air-operations


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 05.03.2022

Dem "Westler", auch den Polen wird absolut rein gar nichts anderes übrig bleiben als jedwedem stattfindenden Schlachten zuzusehen, den die Alternative ist ein Nuklearkrieg. Russland wird keine solche westliche Einmischung in den Ukrainekrieg tolerieren, unter gar keinen wie auch immer gearteten Umständen. Und ich muss an dieser Stelle auch mal fragen: was für ein Schlachten?! Die bisherige Zurückhaltung der russischen Streitkräfte ist sogar eines der erheblichsten militärischen Probleme für die russischen Soldaten vor Ort. In Wahrheit haben die Russen noch nie so "unrussisch" gekämpft wie jetzt, wohl auch als Opfer ihrer eigenen Propaganda.

Da kann "die Bevölkerung" im Westen TM im weiteren auch rumtoben wie sie will, es ändert rein gar nichts. Bereits das jetzige Eingreifen des Westens ist meiner Einschätzung nach sehr grenzwertig, zumindest wird es in Russland selbst als sehr grenzwertig wahrgenommen, auch von der russischen Bevölkerung, der ja jetzt kommuniziert wird, dass es nur deshalb so unerwartet schlecht läuft weil westliche Spezialeinheiten, westliche Söldner, westliche Neonazis und westliche Militärhilfe hier gegen die friedensliebenden russischen Friedenstruppen eingesetzt werden. Dazu noch als kurzer Einschub, da ja jetzt tatsächlich aus ganz Europa, auch aus Deutschland echte Neonazis in die Ukraine ziehen um dort gegen die Russen zu kämpfen: das wird ein Propagandafest für die Russen wenn sie dann vor Ort auf deutsche Neonazis stoßen! Russen kämpfen dann in der Ukraine gegen echte deutsche Nazis, leichter könnte man den Russen den Propagandaschub gar nicht mehr machen.

Und auf dieses ganze bellingcat Zeug würde ich einen großen Haufen setzen, dass ist größtenteils Phantasialand. Die Russen kommen zudem durchaus weiter voran, der Eindruck dass sie jetzt stecken geblieben sind ist einfach falsch. Wir sitzen hier auch immer mehr ukrainischer Propagada auf. Zudem sollte man beachten, dass die Russen nach von den Ukrainern erbeuteten Informationen allein schon 15 Tage dafür eingeplant haben bis Kiew fällt, oder dass es einfach russische Standard-Doktrin erst mal möglichst viele Kräfte an einer Art Ablauflinie zu stapeln um dann von dort erst dann loszuschlagen, wenn alles bereit steht. Deshalb parken sie auch genau am Rand der Reichweite ihrer Standard-Artillerie, die Positionen in denen sie jetzt angehalten haben sind eben nicht zufällig und ergaben sich auch nicht aus ukrainischem Widerstand.

Das soll jetzt aber nicht umgekehrt heißen, dass die Russen den Krieg in jedem Fall gewinnen werden, es ist denkbar, dass die Ukraine ihn so lange weiter führt, dass es für Russland politisch untragbar wird. Beispielsweise kann man sich im Westen in die Karparten zurück fallen lassen, die sehr schwer einzunehmen wären. Solange die Ukraine auf ihrem Territorium als Staat besteht hat Russland nicht gewonnen und allein dadurch verloren.

Das führt zu der Frage was überhaupt der Plan der Russen ist. Den eine Besetzung oder auch nur ein Marionetten-Regime kommt eigentlich in Wahrheit nicht in Betracht. Ich habe es schon früher hier geschrieben, dass es sein kann, dass Russland einfach nur das ganze Land zerlegt, um dann abzuziehen und die enstandenen Kosten dem Westen aufzubürden statt sie selbst dann im weiteren tragen zu müssen (unter Abspaltung der Seperatistengebiete in ihrer ursprünglichen Zielsetzung natürlich).


RE: Russland vs. Ukraine - Helios - 05.03.2022

(05.03.2022, 13:41)GermanMilitaryPower schrieb: Kann mir jemand sagen, ob der Hind keine automatische Aktivierung von Flares hat? Eventuell waren auch alle aufgebraucht, was für die ukrainische bodengebundene Luftabwehr spricht.

Weiß jemand hier, ob es sich bei der Rakete um eine Stinger handelt?

Bei den russischen Maschinen werden die Flares nicht automatisch bei einer Bedrohung ausgelöst, sondern nur automatisiert nach einem voreingestellten Muster (abhängig von der Flughöhe). Üblicherweise passiert das in vorher festgelegten Flugabschnitten je nach Bedrohungslage (bei einem älteren Video mit mehreren Mi-8 sieht man das Verfahren). Das es hier nicht passierte kann also daran liegen, dass man sich sicher fühle, oder eine beständige Gefahr während des Fluges bestand, so dass man das Muster ändern musste (oder nur reagieren wollte). Zusätzlich haben die Mi-24 auch noch einen IR-Störer auf dem Rumpfrücken, der allerdings auf die Bedrohung konkret eingestellt werden muss (und dann ziemlich gut funktioniert). Falsch eingestellt ist er ein Leuchtfeuer für jede andere IR-Rakete. Der Treffpunkt im Video liegt genau in den Bereich, entweder wurde der Störer getroffen, oder die Triebwerksauslässe.

Für den Raketentyp müsste man das Video genauer analysieren, wenn man es überhaupt heraus bekommt ohne Hintergrundinfos. Interessanter finde ich aber den Kamerastandpunkt, das scheint von einer Drohne aufgenommen worden zu sein.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 05.03.2022

Stichwort Fliegerfäuste:

Die Verluste der russischen Luftwaffe steigen seit gestern drastisch an, gleich welche Quellen man dafür heran zieht. Ein Beispiel:

https://twitter.com/oryxspioenkop/status/1500109526581891072?t=69PKihpFYX2na0NRet39Nw&s=19

Zitat:Russian Air Force losses over #Ukraine in the past 26 hours:
1x Su-30SM multirole aircraft (pictured), 1 Su-34 strike aircraft, 2 Su-25 close air support aircraft, 2 Mi-24/35 attack helicopters, 1 Mi-8 transport helicopter,1 Orlan-10 UAV

Wobei nach anderen Quellen beispielsweise nur 1 Su-25 abgeschossen wurde etc. Die genauen Zahlen sind aber weniger relevant als die Frage warum die Verluste so ansteigen: liegt dies am Eintreffen der Stinger an der Front, oder werden insgesamt jetzt deutlich mehr Angriffe geflogen (mehr Präsenz heißt natürlich auch mehr Verluste) oder beides ?!


RE: Russland vs. Ukraine - Helios - 05.03.2022

Es ist interessant zu beobachten, wie die russische Luftwaffe (bzw. die russische Militärfliegerei, das betrifft ja das Heer und die Marine genauso) versucht, Lehren aus Syrien auf die Ukraine zu übertragen und damit offenbar aufgrund des viel größeren Bedrohungspotenzials hinsichtlich einer weitreichenderen Flugabwehr scheitert. Anders als gegen die ukrainische Luftwaffe (die Russland ja tatsächlich sehr schnell und effektiv ausgeschaltet hat) findet man augenscheinlich gar kein Mittel, was frühere Annahmen, SEAD/DEAD ist für Russland eine große Baustelle, bestätigt. Von Anfang an haben sie daher probiert vornehmlich im Tiefflug zu agieren, was bisher klappte und nun zunehmend nicht mehr klappt. Ein Zusammenhang mit den Stinger-Lieferungen kann da durchaus bestehen, und würde im Kontext etwa des heute hier schon gezeigten Hubschrauber-Abschusses Sinn ergeben. Es kursieren ja einige Bilder hinsichtlich der verwendeten Manpads, da ist querbeet alles dabei, und insbesondere diese Mischung bereitet Probleme, auch, weil die veralteten russischen Abwehrmittel in der Regel effektiv gegenüber wenigen Typen sind (je nach Konfiguration). Ich sehe meine Meinung bestätigt, dass die Kosteneinsparungen von Monokulturen den Nutzen einer größeren Vielfalt an Wirkmitteln nicht kompensieren.


RE: Russland vs. Ukraine - lime - 05.03.2022

(05.03.2022, 21:05)Quintus Fabius schrieb: Stichwort Fliegerfäuste:

Die Verluste der russischen Luftwaffe steigen seit gestern drastisch an, gleich welche Quellen man dafür heran zieht. Ein Beispiel:

https://twitter.com/oryxspioenkop/status/1500109526581891072?t=69PKihpFYX2na0NRet39Nw&s=19


Wobei nach anderen Quellen beispielsweise nur 1 Su-25 abgeschossen wurde etc. Die genauen Zahlen sind aber weniger relevant als die Frage warum die Verluste so ansteigen: liegt dies am Eintreffen der Stinger an der Front, oder werden insgesamt jetzt deutlich mehr Angriffe geflogen (mehr Präsenz heißt natürlich auch mehr Verluste) oder beides ?!

Ist bekannt wie die abgeschossen wurden, vor allem die SU-30M und die SU-34?


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 05.03.2022

Die genauen Umstände sind mir aktuell nicht bekannt, aber aus dem was ich selbst gesehen habe fliegen die russischen Flugzeuge erstaunlich tief, was meiner Meinung nach einerseits die Schlußfolgerung zulässt dass die Ukrainer irgendwo noch andere Flugabwehr-Systeme verstecken die man damit umgehen will, und das bringt die Flieger natürlich zugleich in den Bereich der Fliegerfäuste.


RE: Russland vs. Ukraine - Helios - 05.03.2022

(05.03.2022, 22:32)lime schrieb: Ist bekannt wie die abgeschossen wurden, vor allem die SU-30M und die SU-34?

Die Su-30SM soll mit einer Igla abgeschossen worden sein. Da die Russen aktuell um jeden Preis größere Flughöhen vermeiden steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Su-34 Fliegerfäusten zum Opfer fielen.
https://twitter.com/i/web/status/1500125133561741312

Interessant ist die Meldung von offizieller russischer Seite, dass man heute unter anderem vier ukrainische Su-27 abgeschossen hätte:
https://twitter.com/NotWoofers/status/1500200834533056521

Ohne Nachweise ist eine Überprüfung natürlich nicht möglich, würde es aber nicht stimmen, stellt sich die Frage, warum man so den eigenen früheren Aussagen über eine vermeintliche Zerstörung der gesamten ukrainischen Luftwaffe widerspricht?


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 05.03.2022

Mal eine kuriose Nebenentwicklung, die im Prinzip etwas in die von Nightwatch angerissene Richtung geht und aufzeigt wie sehr die kriegsentwöhnte Gesellschaft in Hysterie verfällt:

Kauft nicht bei Russen und ähnliches:

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/supermaerkte-russland-produkte-krieg-101.html

https://www.extratipp.com/welt/edeka-aldi-lidl-produkte-sortiment-reaktion-krieg-ukraine-wodka-verbraucher-deutschland-produkte-zr-91384630.html

Und was hat man sich nicht seinerzeits hierzulande echauffiert über die Freedom Fries:

https://correctiv.org/faktencheck/2022/03/04/ja-eine-baeckerei-wollte-russischen-zupfkuchen-umbenennen/


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 06.03.2022

Auch noch ein Kanal mit Tagesanalysen:

https://www.youtube.com/c/MilitaryandForeignAffairsNetwork/videos

Zudem will man anscheinend nun systematischer die Stromversorgung der Ukraine unter Kontrolle kriegen / kappen:

https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_91768424/news-zum-ukraine-krieg-bericht-ukrainischer-geheimdienst-erschiesst-unterhaendler.html

Russische Truppen marschieren auf drittes Atomkraftwerk zu

Kämpfe um AKWs haben natürlich ein nicht unerhebliches Potential.

Und noch eine Fernwirkung die noch gar nicht so richtig verstanden wird, die Auswirkungen des Krieges auf die Lebensmittelpreise, vor allem auf die Weizenpreise weltweit:

https://twitter.com/DrPippaM/status/1499762408491036679/photo/1

Das wird in der Dritten Welt und im Orient allerlei Folgekonflikte nach sich ziehen.