Forum-Sicherheitspolitik
Russland vs. Ukraine - Druckversion

+- Forum-Sicherheitspolitik (https://www.forum-sicherheitspolitik.org)
+-- Forum: Hintergründe (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=97)
+--- Forum: Krisen, Konflikte und Kriege (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=99)
+--- Thema: Russland vs. Ukraine (/showthread.php?tid=5210)



RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 20.10.2022

Werter Nightwatch:

Dem letztgenannten Aspekt kann ich wieder nur voll und ganz zustimmen. Mit unkonventioneller Kriegsführung und verdeckten Operationen welche man grundsätzlich leugnet (!) gegen die iranischen Waffenlieferungen vorzugehen, außerhalb des Territoriums des Iran, wäre absolut sinnvoll und geboten. Denn wenn wir offiziell rein gar nichts tun, und man es bei solchen verdeckten und indirekten Ansätzen belässt, könnte man da sowohl erhebliche Wirkung erzielen, als auch die Sache auf einem vernünftigen Niveau vor sich hin köcheln.

Zitat:Maßnahmen zur Unterstützung eines illegalen Angriffskrieges sind völkerrechtswidrig

Also sind die europäischen und deutschen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien völkerrechtswidrig.

Zitat:können in einem System der kollektiven Sicherheit unterbunden werden

Durchaus. Durch ein UN Mandat. Ein solches gibt es hierfür aber nicht und wird es nie geben.


RE: Russland vs. Ukraine - KheibarShekan - 20.10.2022

(20.10.2022, 10:36)Nightwatch schrieb: Kann man verpacken wie man möchte. Maßnahmen zur Unterstützung eines illegalen Angriffskrieges sind völkerrechtswidrig und können in einem System der kollektiven Sicherheit unterbunden werden.
Bullshit? Sicherlich. Ich widerspreche deiner These, dass internationales Recht zuforderst ein Machtwerkzeug ist, ganz besonders im Rahmen zwischenstaatlicher Konflikte auch nicht.

Allerdings fordere ich in diesem Zusammenhang auch keinen Krieg gegen den Iran sondern verdeckte Operationen um diese Lieferungen zu behindern. Das was man mit iranischen Waffenlieferungen an andere Akteure auch treibt.

Klar, kann man das alles aus einem militärischen und machtpolitischen Kontext heraus machen. Nur woher strickst Du Dir Deine Legitimation und Verhältnismäßigkeit? Der illegale Angriffskrieg der Golfaraber auf den Jemen wird durch massive Waffenlieferungen ermöglicht. Der Großteil der dorthin gelieferten Waffen (im Wert von zig Mrd) richtet sich direkt gegen den Iran. Der illegale Angriffskrieg den Saddam Husseins Baath Regime 8 Jahre gegen den Iran unter anderem mit Chemiewaffen geführt hat, dessen Verurteilung an einem Veto der USA im Sicherheitsrat nebst Enthaltung der Verbündeten gescheitert ist, wurde maßgeblich durch massive Waffenlieferungen überhaupt ermöglicht und am Laufen gehalten. Die syrischen Rebellen wurden massiv von USA, Türkei und Osteuropa mit Waffen versorgt. Und witzigerweise produziert der Iran seine Waffen selbst, weil er diese ja gar nicht importieren darf. Die Russen haben, sofern das alles stimmt, für 40 Mio. (2000 x 20.000) Drohnen bestellt. Aber der Iran ist der Aggressor. Immer wieder unterhaltsam.


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 20.10.2022

@Schneemann
Zitat: Ich habe es aber gerade nicht parat, ob es innenpolitische Gründe hierfür in Israel gibt.
Naja, zuvorderst halt die große quasirussische Minderheit. Nach dem Ende der Sowjetunion sind hunderttausende Juden nach Israel migriert, die deutliche Mehrheit aus dem heutigen Russland.
Es gab nach dem Untergang der Sowjetunion dann keinen größeren Assimilierungsdruck dahingehend, mit den eigenen Wurzeln zu brechen - die Auswanderung erfolgte weniger aus ideologischen als aus wirtschaftlichen Gründen - sodass man mit der alten Heimat oft noch wohlwollend verbunden blieb und sich lange nicht vollständig in die weitere israelische Gesellschaft integrierte. Das begann damit das erhebliche Teile der Auswanderergeneration an der russischen Sprache im Alltag (und va zu Hause) festgehalten haben und nur unzureichend Hebräisch gelernt haben.
Da die russischen Juden in Israel (und russische Nichtjuden die mitkamen) auch noch eine relativ hohe Geburtenrate haben, sodass ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wächst. Mittlerweile sprechen gut 18% der israelischen Bevölkerung russisch mindestens als Zweitsprache.
Das wird sich in spätestens zwei Generationen dann auch einrenken, aktuell ist das aber erheblich und prägt die Einstellung gegenüber ‚der alten Heimat‘.
Die guten russisch-israelischen Beziehungen (Russland tritt gegenüber Israel nach israelischer Wahrnehmung beileibe nicht so kritisch auf wie viele westliche Ländern) und die Erholung und Erfolg Russlands unter Putin tun ihr übriges diese Weltsicht zu bestätigen.
Diese Gemengelage hat erhebliche politische Auswirkungen, auch ganz ohne Ukraine.

Andere Faktoren die eine unmittelbarere Rolle spielen:
In Kürze sind Knesset-Wahlen, der Netanyahu Block steht (mal wieder) knapp vor einer Mehrheit, das letzte was die aktuelle Mitte-Links Regierung tun will ist Avidgor Lieberman und Yisrael Beiteinu mit einer antirussischen Politik zurück ins Netanyahu-Lager zu treiben.
Geostrategisch natürlich Syrien, Israel (Netanyahu) hat den Drahtseilakt hinsichtlich israelischer Luftangriffe im russisch dominierten Luftraum ziemlich gut abmoderiert, man hat hier wenig Interesse dieses Fass aufzumachen indem man Moskau verärgert.
Und schlussendlich, die ukrainische Naziproblematik wurde halt auch in der israelischen Gesellschaft rezipiert und von vielen natürlich in den Kontext des Holocausts gestellt. Viele (Israelis mit jüdischen Wurzeln) sehen die Ukraine so nicht als befreundeten Staat (anders als Russland) und sieht nicht, warum es im israelischen Interesse wäre hier Partei zu beziehen.

@KheibarShekan

Zitat:Klar, kann man das alles aus einem militärischen und machtpolitischen Kontext heraus machen. Nur woher strickst Du Dir Deine Legitimation und Verhältnismäßigkeit? Der illegale Angriffskrieg der Golfaraber auf den Jemen wird durch massive Waffenlieferungen ermöglicht. Der Großteil der dorthin gelieferten Waffen (im Wert von zig Mrd) richtet sich direkt gegen den Iran. Der illegale Angriffskrieg den Saddam Husseins Baath Regime 8 Jahre gegen den Iran unter anderem mit Chemiewaffen geführt hat, dessen Verurteilung an einem Veto der USA im Sicherheitsrat nebst Enthaltung der Verbündeten gescheitert ist, wurde maßgeblich durch massive Waffenlieferungen überhaupt ermöglicht und am Laufen gehalten. Die syrischen Rebellen wurden massiv von USA, Türkei und Osteuropa mit Waffen versorgt. Und witzigerweise produziert der Iran seine Waffen selbst, weil er diese ja gar nicht importieren darf. Die Russen haben, sofern das alles stimmt, für 40 Mio. (2000 x 20.000) Drohnen bestellt. Aber der Iran ist der Aggressor. Immer wieder unterhaltsam.

Was wollt ihr denn alle mit dem Jemen?

Der ‚illegale Angriffskrieg der Golfaraber auf den Jemen‘ war eine Intervention in einen Bürgerkrieg zur Stützung der legitimen jemenitischen Regierung. Was soll daran Illegal gewesen sein? Staaten haben das uneingeschränkte Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung. Die jemenitische Regierung konnte jederzeit militärische Hilfe von außen einholen, da ist nichts dabei. Genauso war übrigens die russische Intervention in Syrien zur Unterstützung von Assad legal.
Aber egal.

Was heißt der Iran ist der Aggressor? Das ist völlig gleichgültig. Der Iran hat sich entschieden, in Russisch-Ukrainischen Krieg die Gegenseite zu unterstützen. Und das hat halt Auswirkungen auf unsere Beziehungen gegenüber dem Iran. Schlicht und einfach.


RE: Russland vs. Ukraine - KheibarShekan - 20.10.2022

(20.10.2022, 11:32)Nightwatch schrieb: Was heißt der Iran ist der Aggressor? Das ist völlig gleichgültig. Der Iran hat sich entschieden, in Russisch-Ukrainischen Krieg die Gegenseite zu unterstützen. Und das hat halt Auswirkungen auf unsere Beziehungen gegenüber dem Iran. Schlicht und einfach.

Deine Argumentation ist vice-versa mindestens ebenso gut anwendbar, nur investiert der Iran in diesen Kleinkrieg weder mehr als seine Gegner, noch hat er damit angefangen. Im Übrigen wäre aus rein militärischen und machtpolitischen Gründen keinesfalls sicher, dass ein direkter Austausch kinetischer Freundlichkeiten in Deinem Interesse wäre. Gerade jetzt wäre ein ausgesprochen schlechter Zeitpunkt dafür. Es sei denn man möchte der Energiewende, China und Russland nochmal einen zusätzlichen Schub durch Overstretching verpassen.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 20.10.2022

Werter Nightwatch:

Zitat:Staaten haben das uneingeschränkte Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung.

Und deshalb ist Russland ja nur den Volksrepubliken im Osten der Ukraine in kollektiver Selbstverteidigung zur Hilfe gekommen. Aber ich vergaß: die Volksrepublik Donezk ist ja kein Staat gewesen. Hat dann Taiwan überhaupt ein Recht zur Selbstverteidigung ? Weder als Staat anerkannt noch in der UN vertreten.

Aber ich vergaß: nur Staaten die der Westen anerkennt haben solange ein Recht zur kollektiven Selbstverteidigung wie ihnen die USA dieses Recht zugestehen.

Der Iran hat sich entschieden, in Russisch-Ukrainischen Krieg die Gegenseite zu unterstützen. Und das hat halt Auswirkungen auf unsere Beziehungen gegenüber dem Iran. Schlicht und einfach.

So ist es, und so wäre es viel einfacher und ehrlicher. Statt aufgeregt mit Völkerrecht, Gesetzen und Legalität zu wedeln, wäre es viel sinnvoller in klandestinen Operationen den Iran entsprechend massiv anzugehen, während man nach außen hin breit lächelnd von Entspannung und Friede, Freude, Eierkuchen in Richtung Iran faselt.


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 20.10.2022

@Quintus Fabius

Zitat: Und deshalb ist Russland ja nur den Volksrepubliken im Osten der Ukraine in kollektiver Selbstverteidigung zur Hilfe gekommen. Aber ich vergaß: die Volksrepublik Donezk ist ja kein Staat gewesen. Hat dann Taiwan überhaupt ein Recht zur Selbstverteidigung ? Weder als Staat anerkannt noch in der UN vertreten.

Das Selbstverteidigungsrecht ist ein naturgegebenens Recht, dass nicht eingeschränkt werden kann. Die UN Charta stellt dies auch nur fest und verleiht dieses Recht mitnichten auf die Vertragsstaaten.
Oder anders ausgedrückt: Wenn jemand angegriffen wird wird dieses sich wehren. Is so, kann man nicht machen.

Die Ausrufung der Volksrepubliken Donzek und Luhansk verletzt die in Artikel 2 Absatz 4 der UN Charta normierte Territoriale Integrität souveräner Staaten.
Ohne die Zustimmung des jeweils betroffenen Staates können Regionen nicht ohne weiteres irgendwelche Referenden abhalten, erst recht nicht mit dem implizierten Ziel sich daraufhin anderen bestehenden Staaten anzugliedern.
Ein Recht auf Sezession besteht erst mal nur insofern als das es sich auf das Selbstbestimmungsrecht ganzer Völker erstreckt. Will heißen, ein staatenloses Volk hat das grundsätzliche Recht einen eigenen Staat zu bilden. Eine Volksgruppe die aufgrund irgendwelcher geschichtlicher Gegebenheiten auf der falschen Seite einer Grenze gelandet ist, hat dagegen kein Recht sich abzuspalten und sich einem anderen Staat anzuschließen.

Zitat: Aber ich vergaß: nur Staaten die der Westen anerkennt haben solange ein Recht zur kollektiven Selbstverteidigung wie ihnen die USA dieses Recht zugestehen.
Im Prinzip ja. Es ist halt einfach so, dass die dominierenden Mächte letztlich erst nach dem zweiten Weltkrieg entschieden haben sich in zwischenstaatlichen Beziehungen relativ ernsthaft an ein relativ loses Vertragswerk und die daraus abgeleiteten Spielregeln zu halten.

Dieses Machwerk - man könnte es auch die internationale Ordnung nennen - ist nicht gottgegeben am Berg Sinai vom Himmel gefallen, sondern erfreut sich seiner globaler Relevanz allein weil a) der Westen als kollektiver Schutzpatron der internationalen Ordnung mächtig genug war/ist, das alles einigermaßen und notfalls militärisch durchzudrücken, b) es für den Westen unterm Strich eine sehr lohnenswerte Ordnung ist und c) im Zweifelsfall alles interpretierbar genug ist damit ziemlich alles durchzuziehen was man meint machen zu müssen.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 20.10.2022

Zitat:Dieses Machwerk - man könnte es auch die internationale Ordnung nennen - ist nicht gottgegeben am Berg Sinai vom Himmel gefallen, sondern erfreut sich seiner globaler Relevanz allein weil a) der Westen als kollektiver Schutzpatron der internationalen Ordnung mächtig genug war/ist, das alles einigermaßen und notfalls militärisch durchzudrücken, b) es für den Westen unterm Strich eine sehr lohnenswerte Ordnung ist und c) im Zweifelsfall alles interpretierbar genug ist damit ziemlich alles durchzuziehen was man meint machen zu müssen.

So ist es.


RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 23.10.2022

Zur Situation um Cherson:
Zitat:Ukraine fights to recapture Kherson from Russia

As Ukrainian forces advance toward the strategic city of Kherson, the occupiers are organizing the "evacuation" of civilians. Experts say the outcome of the battle will be a decisive factor in the coming months. [...]

There are growing indications that Kyiv could recapture the occupied city of Kherson, deep in southern Ukraine. As government forces have stepped up their offensive in the region, Russian media report that the Kremlin has begun moving about 60,000 civilians and administrative staff from Ukrainian territories on the right bank of the Dnieper River to the other side. It is unclear how many people remain on the right bank. [...]

Because Ukraine's army has targeted the few bridges that there were, ferries and pontoon crossings are being used for the "evacuation."On Friday, Ukrainian forces repeatedly shelled the Antonivsky Bridge, the largest in Kherson. Russian sources reported that three people were killed and several injured. [...]

The Dnieper is the largest and most important river in Ukraine. It has an average width of over 2 kilometers (1.25 miles) and divides the country between east and west, forming a natural barrier. It is also an important supplier of energy, with many hydroelectric power plants that date back to the Soviet era. So far, Russia's army has only been able to cross the river in the south — around Kherson, where it has established a bridgehead. [...]
https://www.dw.com/en/ukraine-battles-to-recapture-kherson-from-russia/a-63526896

Weiterhin gibt es einige Besorgnis über die Lage am Damm des hydroelektrischen Werkes bei Kakhovka. Es wird darüber spekuliert, dass die Russen den rund 50 Kilometer nordöstlich (Dnjepr aufwärts) von Kherson gelegenen Damm sprengen könnten, um so überflutete und für die Ukrainer nicht bzw. kaum durchquerbare Gebiete zu schaffen.
Zitat:Ukraine: Russia plans to destroy hydro dam, with potentially catastrophic results

Zelensky says Russian troops have mined Kakhovka hydroelectric power plant; if destroyed, hundreds of thousands of people would be endangered by rapid flooding. [...]

KYIV (AFP) — Kyiv accused Russia of planning to destroy a hydroelectric dam in the southern Kherson region, where Ukrainian soldiers have been steadily advancing and Moscow-installed authorities have begun evacuations. [...] Hundreds of thousands of people around the lower Dnipro River would be in danger of rapid flooding if the dam was destroyed, Zelensky warned in a speech Thursday to European leaders. [...] He said cutting water supplies to the south could also impact the cooling systems of the Zaporizhzhia nuclear power plant, Europe’s largest.
https://www.timesofisrael.com/ukraine-russia-plans-to-destroy-hydro-dam-with-potentially-catastrophic-results/

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - lime - 23.10.2022

Mir scheint dass man wieder einmal nichts gelernt hat und auf das was im Winter kommen könnte absolut nicht vorbereitet ist. Rußland zerlegt weiter die Energieinfrastruktur und ich persönlich glaube nicht dass dies so schnell wieder repariert werden wird. Im Gegenteil wird die Zerstörung wohl eher größer werden. Wenn im Winter dann erst einmal Millionen Menschen in der Ukraine frieren wird der große Run in die EU einsetzen. Obwohl man vorher Anderes behauptet hat ist Deutschland inzwischen zum Hauptzielland für ukr. Flüchtlinge geworden. Womit ich persönlich auch gerechnet hätte, denn die Rundumversorgung in Deutschland ist eben ein gewichtiger Pullfaktor. Auf das Szenario der Massenflucht in die EU wird Putin aus sein und in der EU ist man meines Erachtens so naiv und will es einfach nicht wahrhaben.


RE: Russland vs. Ukraine - Ottone - 23.10.2022

(23.10.2022, 12:04)lime schrieb: ist Deutschland inzwischen zum Hauptzielland für ukr. Flüchtlinge geworden.
Nein, das ist mit großem Abstand Polen.


RE: Russland vs. Ukraine - lime - 23.10.2022

(23.10.2022, 21:22)Ottone schrieb: Nein, das ist mit großem Abstand Polen.

Kann nicht stimmen wenn Ein- und Ausreisezahlen der EU halbwegs korrekt sind.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 23.10.2022

Ein wesentlicher Grund hierfür ist auch, dass in Polen bereits vor dem Krieg immense Mengen von Ukrainern lebten. Man zieht nicht zwingend dahin wo es sich theoretisch finanziell am meisten lohnt, sondern vor allem dorthin wo es schon Verwandte, Netzwerke, Kontakte usw gibt. Entsprechend sind Flüchtlingsströme sich selbst verstärkende Entinitäten die umso mehr zunehmen, je mehr von einer Gruppe im Land sind und umso mehr, je mehr von einer Gruppe sich in einem Land etablieren konnten.

Allgemein:

Ein paar aktuelle Entwicklungen breitflächtig gestreut:

1. Die Russen verbreiten aktuell überall das Narrativ, dass die Ukrainer eine schmutzige Bombe einsetzen werden. Entsprechende russische Meldungen werden zur Zeit immer dichter und immer drängender vorgetragen, entsprechend könnte es durchaus zum Einsatz einer solchen Waffe kommen (durch die Russen selbst) um damit den Einsatz taktischer Nuklearwaffen oder chemischer Waffen etc zu legitimieren.

2. Die Russen drohen angeblich damit einen immens gewaltigen Damm bei Kherson zu sprengen (laut den Ukrainern). Zumindest haben sie ihn schon für eine Sprengung vorbereitet.

https://kyivindependent.com/national/zelensky-russia-mines-kakhovka-dam-threatens-to-flood-kherson

https://www.thedrive.com/the-war-zone/ukraine-situation-report-russia-rigged-kherson-dam-to-explode-zelensky-claims

An russischer Stelle würde ich den Damm übrigens jetzt hochjagen und keine Sekunde länger damit warten. Ein Angriff der Ukrainer auf Kherson hätte sich damit für geraume Zeit erledigt.

3. Hochrangige russische Offiziere und die zivilen "Eliten" sind aus Kherson geflohen. In der Stadt selbst sollen aber ziemlich viele der neu Mobilisierten russischen Soldaten stationiert worden sein, welche explizit vor Ort bleiben sollen. Angeblich (laut russischen Telegram Kanälen / Gerüchten) wurde die militärische Verteidigung der Stadt nicht ausreichend vorbereitet. Kann natürlich auch eine Falschnachricht sein, würde aber ins Bild passen.

4. Zudem werden angeblich russische "Elite"Einheiten, also Verbände von Berufs- und Zeitsoldaten, insbesondere VDV, von westlich des Flusses abgezogen. Wobei der Abzug schwierig verläuft, weil die Pontonbrücken fortwährend von den Ukrainern angegriffen und auch immer wieder beschädigt werden.

Und zum Abschluss noch ein paar aktuelle Karten von Rybar:

Im Norden hängen die Ukrainer an den neu mobilisierten Einheiten fest, dazu kommen Schlamm, Erschöpfung, notwendige Auffrischung der Verbände und Umgruppierungen. Eventuell versucht man es dort auch gar nicht mehr zur Zeit weil man anderswo hin will (würde auch Sinn machen):

https://twitter.com/rybar_en/status/1584157638992228353/photo/1

Situation in Starobilsk direction
as of 13:00 Kyiv Time on October 23, 2022

Ich erwartete ja vor einer Woche noch, dass Sawtowe dieses Wochenende fällt, danach sieht es zur Zeit gar nicht aus.

Bei Bakhmut wird aktuell immer noch frontal gegen die ukrainische Festung dort angerannt. Aber es werden auch Entlastungsangriffe der Ukrainer auf die Flanken der Angreifer abgewehrt. Eines der sinnlosesten Unterfangen und astrein stalinistischer 2WK Stil:

https://twitter.com/rybar_en/status/1584154934118785024/photo/1

ituation in the Soledar direction
as of 14:00 Kyiv Time, October 23, 2022

Über die weiter laufende strategische Luftkriegsführung der Russen, welche über den Winter Wirkung erzielen würde, wenn die Russen sie so aufrecht erhalten könnten (was ich aber aktuell nicht annehme):

https://twitter.com/rybar_en/status/1583808310402117632/photo/1

In Richtung Melitopol ist weiterhin alles verdächtig ruhig. Hier wäre eigentlich der beste Punkt um eine neue ukranische Offensive südwärts zu führen. Die entsprechende strategische Linie nach Melitopol bietet sich so dermaßen an, dass es unfassbar ist, wie sehr die Russen hier die Verteidiungsstellungen vernachlässigen und umgekehrt anscheinend bis jetzt auch kein wirklicher ukrainischer Truppenaufbau feststellbar ist:

https://twitter.com/rybar_en/status/1583330716330311680/photo/1

Oder die Ukrainer sind hier einfach extrem gut darin diesen zu tarnen und wir werden in Kürze hier eine strategische Überraschung des Feindes erleben.

Im Norden Richtung Weissrussland zündeln die Russen herum um Truppen der Ukraine dort zu binden, umgekehrt zündeln die Ukrainer in Richtung Belgorod vermutlich mit dem gleichen Ziel (umgekehrt)

https://twitter.com/rybar_en/status/1583328537301618689/photo/1

Und beschließend leicht veraltet über die Gegend um Kherson:

https://twitter.com/rybar_en/status/1583326142353747969/photo/1

Das auffällige Schweigen beider Seiten über die aktuellesten Vorgänge dort zeigt meiner Meinung nach auf, dass die Intensität der Kämpfe dort wieder an Fahrt gewonnen hat und es dort jetzt ernsthaft zur Entscheidung hin geht. Dazu passen ja auch die Meldungen über russische Truppenabzüge in der Region.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 23.10.2022

Aktuelle Karten von ISW:

https://twitter.com/rybar_en/status/1583326142353747969/photo/1

https://twitter.com/TheStudyofWar/status/1583972748631879680/photo/2

https://twitter.com/TheStudyofWar/status/1583972748631879680/photo/3

https://twitter.com/TheStudyofWar/status/1583972748631879680/photo/4


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 24.10.2022

Zitat: An russischer Stelle würde ich den Damm übrigens jetzt hochjagen und keine Sekunde länger damit warten. Ein Angriff der Ukrainer auf Kherson hätte sich damit für geraume Zeit erledigt.
Sieht selbst im Worst Case Szenario eher unspektakulär aus:
https://cornucopia.se/2022/10/worst-case-modelling-for-nova-kakhovka-dam-break/?utm_source=dlvr.it

Der entscheidende Punkt scheint mir aber eher zu sein, die Flutgebiete des Denpr liegen hauptsächlich auf die linken Flussseite, die rechte Seite ist insgesamt höher. Damit würden die Russen mit einer Sprengung zuallererst ihre eigenen Versorgungs- und Rückzugswege überschwemmen.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 24.10.2022

Das ist in der Tag viel unspektakulärer als ich es gedacht hatte. Insbesondere ging ich davon aus, dass die ganze Stadt Kherson absäuft, aber so wie es hier dargestellt wird, betrifft dass dann den Großteil der Stadt gar nicht.

Die Versorgungswege sind ohnehin nicht mehr. Gestern Abend wurden die Pontonbrücken mal wieder zerblasen und der Rückzug der russischen Einheiten auf welche es ankommt läuft schon seit zwei Tagen. Die Mobilisierten will man anscheinend ohnehin opfern. Eine vollständig geflutete Stadt lässt sich aber von solchen Einheiten noch viel eher verteidigen, und würde einen Angreifer immens behindern. Und selbst wenn er die überflutete Stadt dann irgendwann einnehmen könnte, hätte er damit nur Probleme für sich gewonnen. Deshalb würde ich den Wert für die Verteidigung der Stadt selbst höher schätzen als die Rückzugswege bzw. Versorgungswege.

Die Truppen in der Stadt müssen ohnehin jetzt mit dem kämpfen was sie bereits dort haben, da kommt nicht ansatzweise ausreichend nach. Daher wäre für mich eher die Fragestellung, wie man die Verteidigung der Stadt verbessern könnte, durch natürliche Hindernisse, statt die Frage der weiteren Versorgung welche ohnehin nicht mehr möglich ist.